Walter Eschler, »Der Salpetersieder u sy widerspenstigi Frou. Es Zytbild us em Jahr 1744« (1966)
Typoskript

 

Als Beispiel eines Hörspiels, dessen Komik vorwiegend auf dem Verfehlen bestehender sozialer Normen und auf der Diffamierung aller utopischen Regungen basiert, soll eine Auftrags-Produktion der Abteilung »Folklore«, »Der Salpetersieder u sy widerspenstigi Frou. Es Zytbild us em Jahr 1744« von Walter Eschler (DRS-1, 27.7.66), besprochen werden. Hans Gaugler hat sie mit Simmentaler Laienspielern ausserhalb des Studios aufgenommen und dabei die Erfahrung gemacht, dass sich die Darsteller in einer dem Spiel angemessenen Umgebung und Atmosphäre »freier, ungezwungener und natürlicher geben als im nüchternen, von technischen Hilfsmitteln erfüllten Raum des Hörspielstudios.« (168) Die Handlung wurde »nach Eintragungen im Chorgerichtsmanual von Zweisimmen frei gestaltet« und soll »nichts anderes sein als ein Zeitbild einer um 220 Jahre zurückliegenden Epoche; eines Zeitalters mit seiner weitmaschigen Volksmoral, seinen derben Sitten, primitiven Wohnverhältnissen und weiten Fussmärschen.« (S.2) Den Rahmen bildet ein Zwischenhalt des Salpetersieders Peter Beetschen und seiner Frau Karlini auf ihrem gemeinsamen Heimmarsch von Bern nach der Lenk. Noch mindestens sechs Stunden Wegs trennen die beiden von ihrem Ziel, als sie nach Mitternacht am Wirtshaus des Dorfes Boltigen anklopfen. Schon wollen sie sich wieder auf den Weg machen, da sie vom erbosten Wirt abgewiesen worden sind, als dieser in Peter einen ehemaligen Dienstkameraden erkennt. Karlini lässt sich nur schwer zum Bleiben überreden und besteht darauf, im Stall zu schlafen, da sie Gobeli, dem Wirt, die anfängliche Abweisung nachträgt. Dessen Urteil über Karlini steht schon fest, nachdem er der Frau ihr Nachtlager angewiesen hat: »--Tuusig wätter - ischt daas e reezi Gybe. - Aiaiaiai - -« (S.8), murmelt er vor sich hin, bevor er die Gaststube betritt, wo Beetschen sich unterdessen einer Kanne Wein zugewendet hat. Auf dessen Bescheid, er hätte mit seiner Frau in Bern so quasi den Hausfrieden erneuern müssen, fragt Gobeli: »Hescht Maläschsche gha mit dyr Userwählte?« und meint, als Peter dies bestätigt, verschmitzt: »Das chan i mer jitz nu vorstelle.« (S.9)

Der Salpetersieder nimmt seine Frau in Schutz und hebt an zu erzählen, wie sie ihm davongelaufen sei, da ihr die ärmlichen Wohnverhältnisse aufs Gemüt geschlagen hätten. Als sie nach Wochen nicht zurückgekehrt sei, habe er eine »Wallfahrt« zum Haus ihrer Eltern unternommen, um Karlini zur Rückkehr zu überreden, doch sie habe nicht »wele i Chomet schlüüffe.« (S.11) Darauf habe er zusammen mit seinem Bruder und einem Helfer, beide im Salpetergewerbe tätig, beschlossen, »das ufölgig Wybervolch sofort! u ohni Pardong! ga hiime z’riche.« (S.11) An diesem Punkt wird in einer ersten Rückblende die Szene der nächtlichen gewaltsamen Entführung Karlinis gespielt. Nach kurzem Unterbruch durch eine Rahmenszene, in welcher Peter dem Wirt erzählt, dass Karlini ihm nach ein paar Tagen wieder entwischt sei und »di miserable, grossgchotzete Zwüsimer« ihm und seinen Kumpanen »dä Wyberruub verfluecht übel gnoh« hätten (S.16), folgt in einer langen Szene die Verhandlung vor dem Zweisimmener Chorgericht, das den Fall des zerstrittenen Ehepaars zu beurteilen hat. Es stellt sich heraus, dass Karlini ihren Mann verlassen hat, weil dieser mit ihr und seinem Bruder seit zwei Jahren in leerstehenden Ställen und Scheunen gehaust und sich nicht um eine menschenwürdige Wohnung bemüht hat, da ihm ein fester Wohnsitz bei der Ausübung seines Gewerbes eher hinderlich schien. Laut Anklageschrift haben die Entführer Karlini gefesselt und halbnackt in ein Tragtuch gewickelt nach der Lenk verbracht und in einen Stall eingeschlossen. Wie sich nun herausstellt, wurde die Frau aber nach kurzer Zeit befreit, mit Kleidern versehen und auf einen Esel gesetzt. Die folgenden Ausführungen, deren Komik teils auf dem sozialen Gefälle zwischen den gestrengen Chorrichtern und den beiden Parteien, teils auf dem Kontrast zwischen bisher Verschwiegenem und der sich enthüllenden Wahrheit beruht, sollen im Wortlaut wiedergegeben werden:

»Peter: — Wo wer sy uf Sant Stäffe cho, hii wer vor em Würtshuus e Halt gmacht u ne Chane Wy bschickt! Jawoll! - U Karlini het an üüser Riis plötzlich Früüd übercho! U het wie ne Hochzytera bbächeret u glachet u gjuhejet!... Müpf mich doch net ging.
Karlini: I müpf ja gar nüt!
Peter: Wohl, du müpf...
Martig [Amtsstatthalter]: Stimmt das, was eua Maa erzellt?
Karlini: (nicht laut) Hm, ds Miischta ischt erstuuche un erloge.
Jakob: Wohl, das ¡scht eso gsi! Du heschtd y Bächer iisderdar zuehigha! U wo d’Chane ischt leeri gsi, hescht du befole, nu vor Sunenuufgang e zweiti la ufzfahre!
Schönweiz [Pfarrer]: (streng) Und dihr heit das gmacht?
Pfund: (leicht spöttisch) Wier sy kinner U’mensche, Herr Pfarrer, u hün ihm dä fromm Wunsch gäären erfüllt.
Schönweiz: (spitz) Das wird scho sy.
Madig: (schier belustigt) Janu. - U wenn syt er wyterzoge?
Peter: Na der dritte Chane, Herr Amts...
Schönweiz: (entrüstet) Also drei Channe - De syt dihr ja alli schamlos betrunke gsii
Peter: Net emal, Herr Pfarrer. - Der Esel u wier dry...
Schönweiz: I rede jitz vo de Lütt!! Gäbet über die Uskunft!
Peter: Enuja, i gibe zue: Karlini ischt ordelich wysseligs u gstures...
Karlini: Ier hiit o zickzacket!!
Peter: ...u plampigs gsi u wier hii z'ale Syte müessen ufpasse, dass es nus net ab em Esel trohlet.
Madig: U wie mengischt isch es nuch i Strassegrabe ghyt?
Peter: Kii-iinischt.
Pfund: Wier dry sy chatznüecht...
Madig: Also. Fahret wyter.
Peter: Gäge der Lengg zue ischt du Karlini umhi läbigs worde u het uf sym Paschsattel agfange Lumpeliedleni singe u Gabriole mache, dass wer nus schier vor de Lüte hii müesse schyniere - U für net zum Gspött z'wärde, hii wer nüt andersch gwüsst, als es imene Schürrli abzlade.« (S.24)

Da die Frau nun mit einer Ehebruchsgeschichte ihres Mannes aufwartet und kurzerhand die Scheidung verlangt, werden die beiden an das Berner Oberchorgericht weiterverwiesen. In einer Rahmenszene fasst Peter die Reise nach der Zähringerstadt und die Gerichtsverhandlung zusammen: Da er sich nicht mehr beherrschen konnte und während des Prozesses handgreiflich wurde, war eine Scheidung unausweichlich. Nun folgt, wieder in einer dramatischen Rückblende, die komische Wende. Karlini, eben noch thriumphierend über ihren Sieg in diesem »Lumpestückli« (S.29), kann gar nicht begreifen, warum der Mann sie nun stehen lassen will, und hängt sich, nur schon, weil sie den Heimweg allein gar nicht finden würde, an ihren Peter. Nach einer Mahlzeit und gemeinsam verbrachter Nacht werden sie »rätig«, sie gingen besser »dene Perüggehengschte i ds Gricht ga säge, si söle das Züg dürstryche. Wier hiige der Char gchehrt u wele wyterhii zeme gutschiere.« (S.31) Das erweist sich aber als schwieriger denn angenommen, da eine Scheidung nur durch die oberste Landesbehörde, den Berner Kleinen Rat, rückgängig gemacht werden kann. Nachdem diese letzte Prüfung mit Not bestanden ist, machen sie sich, wieder ein Ehepaar, auf den Heimweg.

Als Peter bei Tagesanbruch eben ein Loblied auf seine Frau anstimmt, tritt diese in die Gaststube, liest den beiden Zechern die Leviten und kündigt an, sie mache sich jetzt auf den Weg nach Zweisimmen. »U Beetsche cha de sälber gugge, wien er i sy Lengg chunnt.« (S.33) Da ergreift der Wirt Gobeli das Wort und hält ihr eine Standpredigt: Ob sie in Bern nicht mehr gelernt hätte, sie sei ein »undankbarsch, rächthaberisches Wybervolch«, »en unzufrideni, ygesinnigi Trucke« und, sich steigernd, »ne uverschannti, zanggsüchtigi Giftspritze« (S.33 f); Beetschen habe nun endgültig genug und wolle sich »es flotts, schaffigs u jungs Wybervolch« nehmen, das ihm, ohne ständig zu widersprechen, den Haushalt mache. Als Peter die Absicht des Wirts erkennt und mitzuspielen beginnt, packt Karlini die Angst, und sie drängt zum raschen, gemeinsamen Aufbruch. Doch der Mann zögert: »Jajaa.. chume de scho. Aber zerscht welt ich dem Vreneli ga säge...«, worauf sie ihm ins Wort fällt: »Da gits nüt z’vrenele. Zall enandernah was wer schuldig sy u chumm.« (S.34) Unter der Türe bedankt sie sich noch bei Gobeli, der sie ermahnt: »U häb Sorg zum Salpetersieder! - Du bischt de net unersetzlich!« (S.35) Er lacht leise vor sich hin, während die beiden sich auf den Weg zur Lenk machen.

Die Komik dieser Komödie ergibt sich primär zweifellos aus der Verfehlung der Normen eines sozialen Systems durch die Frau, die sich mit den unnötig erschwerten ökonomischen Bedingungen ihrer Ehegemeinschaft nicht abfinden will. Ihre »Widerspenstigkeit« ist es, welche die dramatische Handlung in Gang setzt, die zunächst zum Frauenraub und zur Verhandlung vor Chorgericht, schliesslich zum Scheidungsprozess und dann, in einer komischen Kehrtwendung, zur Wiederaufhebung der Scheidung führt; die dramatische Lösung ist in der endgültigen »Zähmung« der Frau durch die List des Wirtes zu sehen, nachdem diese alsbald rückfällig geworden ist. Die Norm, die da verletzt und im Laufe der Handlung in ihrer quasi naturgesetzlich bedingten Gültigkeit mehr als wiederhergestellt wird, geht letztlich auf die Genesis zurück, nach deren Deutung die Frau dem Manne untertan sei. Dagegen lehnt sich Karlini auf, indem sie ihren Mann verlässt und ihre Ehe aufzulösen begehrt. In Sachen Scheidung aber sind die Herren des ehrbaren Oberchorgerichts zu Bern, wie der Pfarrer Schönweiz betont, »mit vollem Rächt [...] überuus zurückhaltend. Es Ehebündnis ma no so ungfreut sy, ohni zwingendi Gründ wärde si’s nie löse!« (S.26) Geschieden wird die Ehe letzten Endes nur, weil der Mann vor Gericht handgreiflich wird und damit in der naiven Auslegung seiner Vorherrschaft im falschen Augenblick zu weit geht. Bei der Rekonstruktion der gewaltsamen Entführung werden lauter Tatbestände zutage gefördert, die gegen die Frau sprechen, so dass schliesslich der Gegenstand der Anklage als Bagatelle und die Klägerin als mitschuldig erscheinen. Es ergibt sich, dass die Frau gefesselt werden musste, weil sie sich so ungestüm wehrte, und dass die vorgefundenen Blutspuren nicht etwa von ihr, sondern von einem der Helfer stammte, der von dem »blindwüetig Wybli« in die Hand gebissen worden war. (S.22) Karlini berichtet, von heiligem Zorn erfüllt, die Mannsbilder hätten an dem Handgemenge auch ihr erotisches Vergnügen gehabt und sie »sogar a Blüttine wo mu süscht net ziigt« gepackt und gedrückt, schliesslich sogar »zum Bett uus gschrisse un am Bode regelrächt vergwaltiget« (S.20 f); als der Pfarrer heftig reagiert und der Vorsitzende ihr als Alternative den Ausdruck »überwältiget« anbietet, muss sie kleinlaut einlenken und hat durch ihr unbedachtes Wesen eine weitere Chance verspielt, ihre Sache gegen die vereinte Macht der Männer zu vertreten. Im übrigen stellt sich heraus, dass, was als Frauenraub begonnen hatte, sich recht bald zu einem überbordenden Fest und nächtlichen Narrenzug wandelte, dessen komische Schilderung die Unrechtmässigkeit der Aktion allzu leicht vergessen lässt.

Im Umstand, dass die Ehe trotz restriktivster Praxis aus triftigen Gründen geschieden wird, spiegelt sich in diesem Hörspiel aber auch eine Utopie, deren Scheitern durch die allgemeine Struktur der Komödie und deren Thematik in diesem besonderen Fall programmiert ist. Ein glückliches Ende trotz Scheidung wäre aufgrund des gesellschaftlichhistorischen Hintergrundes dieses Hörspiels kaum denkbar. Immerhin liesse sich aber eine Lösung in Betracht ziehen, in welcher auch zu einem Teil die utopische Hoffnung der Frau auf Selbstbestimmung aufgehoben wäre. Die Widerrufung des Richterspruches ist in der vorliegenden Form des Hörspiels aber weit weniger bedingt durch Einsicht und neu aufkeimende Zuneigung Karlinis zu ihrem Mann als durch ihre schlichte Unfähigkeit, auf eigenen Füssen zu stehen und ihren Weg zu gehen. Der Zuhörer, der sich über ihren drolligen Sinneswandel amüsiert, lacht über eine Frauengestalt, die charakterisiert ist durch die Unmündigkeit und den durch Bevormundung hervorgerufenen Trotz eines Kindes. Dass ihre Widerspenstigkeit sogleich wieder aufkeimt, ist nur die logische Folge aus der vollkommenen Restaurierung des alten, für sie hoffnungslosen Zustandes. Am Schluss hat die resolute Frau nichts gewonnen, sondern im Gegenteil durch das tückische Komplott der Männer den letzten Rest ihrer Autonomie verloren. Ein Wandel ihrer Einstellung, der eine Rückkehr aus freiem Entschluss zugelassen hätte, liegt jenseits der Möglichkeiten dieser Komödie. Ein Wandel ist nur Im Verhalten des Mannes zu beobachten, der durch die Erkenntnis, dass er seine Stellung besser durch List als durch brachiale Massnahmen halten kann, einen bedeutenden Zuwachs an Macht erhält. Sogar die List, die in der Geschichte der Komödie immer wieder der Frau als geschlechtsspezifisches Attribut und Waffe zugesprochen wurde (169), wird hier der Sache der Männer dienstbar gemacht. Die Tendenz dieser Komödie ist von daher nicht bloss als restaurativ, sondern als reaktionär zu bezeichnen. Da ist auch mit dem Hinweis nichts zu retten, dass es sich bloss um ein »Zeitbild« einer längst vergangenen Epoche handle. In den für die Ansage vorgesehenen historischen Erläuterungen erschöpfen sich im Ansatz schon Bestrebungen, Distanz zu schaffen zwischen Hörer und Hörspiel. Indem wie auch immer urkundlich belegbare historische Fakten in der Form einer Komödie präsentiert werden, verschmelzen sie zu einer fiktiven Realität, die sich gibt, als ob das Geschehen im Moment der Rezeption vor sich ginge. Die Gefahr, dass die Argumentationsstruktur dieses Hörspiels von den Hörern nicht bloss nachvollzogen, sondern unkritisch übernommen wird, ist gross, da weder durch die Handlung noch durch die Art der Komik Anstösse zur Distanznahme und Reflexion gegeben sind.

Das Motiv der Zähmung einer widerspenstigen Frau ist keineswegs neu. Auch Shakespeare griff mit seiner Komödie »The Taming of the Shrew« auf Boccaccios »Decamerone« und andere Quellen zurück, die ihrerseits auf einer weit zurückreichenden Tradition von Märchen und mittelalterlichen Fabliaux fussen. Eine bewusste Anknüpfung an diesen Motivstrang ist allerdings nicht nachzuweisen. Eschler betont vielmehr die Authentizität seines Stoffes, indem er das Chorgerichtsmanual von Zweisimmen als seine Quelle angibt, die er in freier, nicht aufbauschender, eher abschwächender Weise ausgewertet haben will. (170) Die für Shakespeares Mädchen- und Frauengestalten keineswegs repräsentative Katharina wäre ein so monströses »Vorbild«, dass sich, zusätzlich zur verschiedenen Handlung, die Gemeinsamkeiten auch von daher relativieren. Bel Shakespeare wird unter Berufung auf die ständische Ordnung die Vormachtstellung des Mannes derart absolut gezeichnet, die Dressur der Frau derart brutal durchgesetzt, dass sich heute zumindest die Unterwerfungsszene ohne Ironie nicht mehr inszenieren lässt und man mit Walter Hinck wohl annehmen darf, »so ganz« werde »auch die elisa- bethanische Bühne nicht der Ironie entsagt haben«. (171) Aber selbst wenn man auch dem Hörspiel vom Salpetersieder und seiner Frau eine gewisse Ironie zugute halten wollte, die freilich im Text nirgends verankert ist, ändert das wenig an der gesamthaft ungünstigen Beurteilung im Hinblick auf die Darstellung der Frau. Diese wird erhärtet, wenn man Frauengestalten aus anderen Hörspielen, etwa von Jakob Bührer, Max Frisch, Adolf Muschg, Beat Ramseyer (vgl. Kap. 3.1323) oder Hans Peter Treichler, dagegenhält, die sich - leider oft in Nebenrollen, was aber durchaus bezeichnend ist - in einer wenig humanen Männerwelt behaupten und gelegentlich sogar den utopischen Wunsch nach menschlicher Wärme, Frieden und Freiheit anklingen lassen. Wenn man mit Hinck davon ausgeht, dass Lessing in seiner »Minna von Barnhelm« eine Emanzipationsutopie entworfen hat, deren Weiterentwicklung in der deutschen Komödiengeschichte bis heute ausgeblieben ist (172), so wird dadurch die Kritik an Eschlers Hörspiel ein wenig gemildert, und andererseits tritt das Verdienst von Autoren, die sich um ein fortschrittlicheres Frauenbild bemühten, noch stärker hervor.

Die bisherigen Ausführungen zu diesem Hörspiel wären überflüssig, wenn es sich dabei nicht um eine sehr wirkungsvolle, im Rahmen ihrer Bedingungen gut gemachte Dialekt-Komödie handelte, die als Paradigma für eine ganze Reihe ähnlicher, grösstenteils weniger geglückter Produktionen seit Mitte der dreissiger Jahre gelten kann. Faszinierend wirkt schon die »exotische«, für die Mehrzahl der Deutschschweizer wohl nur knapp verständliche Simmentaler Mundart. Walter Eschler konnte sich nicht an die alltägliche Umgangssprache der Gegenwart halten, sondern musste, schon des historischen Stoffes wegen, »mit feinem Gespür« für die »Nuancen dieser Sprache« (173) eine idealisierte, urtümlich wirkende Mundart verwenden, deren Wohlklang einer quasi kulinarischen Rezeptionshaltung weit entgegenkommt. Ein gewisses Hörvergnügen ergibt sich für Hörer, die nicht zu den Sprechern eines Bergdialektes zählen, etwa schon beim Vernehmen von nicht diphtongierten Rückzugsformen wie »Riis« (174) (statt »Reise«) und »Früüd« (statt »Freude«), Durch die Lage an der Sprachgrenze bedingt sind Lehnwörter aus dem Französischen wie »Maläschsche«, »Pardong« (S.11), »Corners« (S.19), »Menaaschi« (S.30) und andere, Häufungen kräftiger, bildhafter Ausdrücke wie »bbächeret u glachet u gjuhejet« oder »wysseligs u gstures [...] u plampigs«, das Verb »zickzacken« (für »im Zickzack gehen«) oder das Adverb »chatznüecht[ern]« tragen das Ihre zum Reiz und teils zur erheiternden Wirkung der Sprachform bei. Oft ergibt sich eine komische Wirkung aus der Derbheit eines Ausdrucks oder einer Wendung im Kontrast zum Kontext, etwa wenn Peter den Wirt ein »bsoffes Mondchalb« nennt, das er später »i sym ganze Umfang« zurücknimmt (S.5 f), oder wenn Karlini ihm grob übers Maul fährt, ob Gobeli ein Unflat oder ein wunderbarer Kumpan sei, sei »deech oppa gspeut wie gchoderet« (S.6). Dass Karlini durchgehend im Diminutiv und als grammatisches Neutrum angesprochen wird, gehört, vordergründig betrachtet, mit zu den sprachlichen Mitteln, die der Erzeugung von Heiterkeit dienen; darin drückt sich freilich auch die Minderwertigkeit der Rolle aus, die ihr als Frau zugedacht ist; sie sucht sich gelegentlich unbeholfen zu revanchieren, indem sie ihren Mann »Beetschli« und dessen Helfer in vergröbernder Form »Köbel« und »Pfündel« nennt. (S.20)

Situative Komik ergibt sich zum Beispiel, wenn der Salpetersieder protestiert, seine Frau »müpfe« ihn stets, was diese abstreitet; in Wirklichkeit will sie ihn mit nonverbalen Mitteln davon abhalten, von dem fröhlichen mitternächtlichen Zechgelage zu berichten, das ihre Rolle bei der Entführung in ein für sie weniger vorteilhaftes Licht rückt. Zu Beginn der Gerichtsverhandlung macht sich Karlini auf der Bank so breit, dass Peter um etwas Platz zum Sitzen betteln muss; auf die Aufforderung des Amtsstatthalters reagiert sie zunächst nicht; die zweite Ermahnung quittiert sie maulend: »Beetsche hetti imel Platz gnueg. Aber äbe, där wetti sich hier cho briit mache u tue wie we...« (S.18) Ähnlich belustigend wirkt der »bedächtig und in singendem Tonfall« vorgebrachte, nach dem Befinden des Vorsitzenden viel zu ausführliche Bericht eines Zeugen, der schildert, wie er nach der Entführung die Tat entdeckt hat. (S.21 f) Durchschaubar und deshalb komisch erscheint Karlinis Ausflucht, das meiste, was ihr Mann vorgetragen habe, sei »erstuuche un erloge«, ähnlich dessen zweideutige Antwort »Kii—iinischt« auf die Frage, wie oft die Frau vom Esel gefallen sei. In dieselbe Richtung geht das taktische Ausweichmanöver, den Esel vorzuschieben, wenn der stark alkoholisierte Zustand der Reisegruppe zur Debatte steht.

Die Sammlung von Techniken, mit denen humorvolle bzw. komische Wirkungen erzielt werden, ist nicht vollständig. Gemeinsam ist den bisher angeführten Beispielen, dass sich der satirische Sinn stets gegen die beiden Hauptpersonen und ihre Helfer richtet. Komik dient als Hilfsmittel zur freilich gelinden Kritik der »weitmaschigen« Moral und der »derben Sitten« des einfachen Landvolkes. Der Hörer übernimmt unversehens die Perspektive der hohen Gerichtsherren, die ja gleich ihm aussenstehende Beobachter der Ehekomödie sind, nicht gerade die gestrenge Sicht des Pfarrers, sondern eher die wohlwollend-amüsierte des Amtsstatthalters. Ihre Autorität wird nie angetastet, auch wenn die schlagfertigen Reaktionen der Parteien gelegentlich auf ihre Kosten gehen; die Bemerkung des Salpetergrabers Pfund, er und seine Kumpane seien »keine Unmenschen« und hätten Karlini den »frommen Wunsch« nach einer zweiten Kanne Wein gern erfüllt, lässt diesen als Pfiffikus erscheinen, der sich durch die moralische Strenge des Geistlichen nicht beeindrucken lässt, auch wenn der sich mit solcher Frömmigkeit und Nächstenliebe gar nicht anfreunden kann. Zusammenfassend wäre festzustellen, dass durch die Art der Komik in diesem Hörspiel zwar ein herzhaftes Lachen ermöglicht, aber darüber hinaus nirgends ein weiterführender Denkprozess in Gang gesetzt wird. Komik ist in dieser Komödie Selbstzweck, dient nicht der satirischen Kritik einer für den Hörer relevanten sozialen Wirklichkeit und schon gar nicht der Vermittlung eines utopischen Gehalts.

Lach- und Schmunzelkomödien dieser Art, teils ebenso gelungene, teils weniger geglückte, scheinen in gewisser Weise typisch für die Produktion der Abteilung »Folklore«, die sich, wie schon der Name, später auch des Ressorts »Land und Leute«, ausdrückt, an ein ländliches, eher konservatives Publikum mit vorwiegend rekreativen Bedürfnissen richtete. Als weitere Beispiele seien hier nur »Der Weg zur Hölle. Ein silvesterliches Spiel mit guten Vorsätzen« von Harry von Graffenried (DRS-1, 29.12.65) sowie Emmy Nöthiger-Beks kleine Hörkomödie »Wänn de Schütz stier isch und d’Jungfrau en Steibock...« (DRS-1, 22.7.70) und Rudolf Webers »Dr Staatsbsuech« (DRS-1, 2.3.73) genannt. In eine ähnliche Richtung weist auch eine Grossproduktion in sechs Folgen von Robert Messerli, deren Titel »Zwüsche Chrüüz und Güggel« (DRS-1,5.9 - 10.10.69) die breit angelegte, heitere Dorfidylle im Spannungsfeld zwischen dem katholischen und dem protestantischen Geistlichen erahnen lässt. Gemeinsam ist diesen Hörspielen bei aller Verschiedenartigkeit in Thematik und Ausführung, dass Bestehendes mit Humor und milder Komik, aber im wesentlichen ohne satirisch-kritische Grundintention dargestellt wird, was letzten Endes immer auf die Bestätigung dieses Bestehenden hinausläuft. Eine distanzierende Wirkung, wie sie von Dürrenmatts grotesken Komödien ausgeht, ist hier nicht einmal im Ansatz zu bemerken. Dennoch wäre es verfehlt, vom unkritischen, rein unterhaltenden Charakter solcher und ähnlicher Produktionen auf eine ausschliesslich konservative Ausrichtung der produzierenden Abteilung schliessen zu wollen. Walter Eschler griff in seinem zweiten, ebenfalls für die Abteilung »Folklore« geschriebenen Hörspiel »Der Dienstverweigerer« (DRS-1,28.3.70) ein ausgesprochen heisses Eisen auf, das er sich allerdings »möglichst objektiv zu behandeln und von verschiedenen Seiten zu beleuchten« vornahm. (175) Von den Programmschaffenden der Abteilung »Folklore« entdeckt wurden so kritische Autoren wie Christoph Geiser (»Rangierunglück«: DRS-1, 5.7.64), Walter Matthias Diggelmann (vgl. Kap. 3.124), Adolf Winiger, von dem nach seinem Erstling »Der Neu« (DRS-1, 21.12.73) noch vier weitere Problemhörspiele in Luzerner Mundart gesendet wurden, Beat Weber (»Dr letscht Obe oder Mutmassungen über Lehrer Schmied«: DRS-1, 18.1.74) und Lukas Hartmann, dessen erste beide Hörspiele, »Em Pfarrer sy Scheidig« (DRS-1, 1.4.76) und »Der Bsuech im Altersheim« (DRS-1,3.3.77), »Folklore«-Produktionen sind. Typisch scheint allerdings, dass ausser Eschler und Winiger alle genannten Autoren meist schon ihr zweites Hörspiel für die Abteilung »Dramatik« schrieben. Ihre Hörspiele stellen gesamthaft gesehen doch eher Ausnahmen innerhalb der »Folklore«-Produktion dar.

 

 

(168) hrh, »Zijelis Not«, in: r+f 37/66, S.39
(169) vgl. W.Hinck, Anmut und Geist. Kleine Komödien-Chronik zur Emanzipation der Frau, in: Grimm/Hinck, 1982, S.206
(170) vgl. W.Eschlers Ausführungen zur »Radio-Ansage oder Einführung«, Manuskript, S.2
(171) W.Hinck, Anmut und Geist, in: Grimm/Hinck, 1982, S.184
(172) vgl. ib., S.204 f
(173) hrh, a.a.O.
(174) Die folgenden Beispiele sind, falls keine Seitenzahl angegeben ist, der oben zitierten Passage von S.24 entnommen.
(175) W.Eschler, Der Dienstverweigerer, in: r+f 12/70, S.79

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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