Interview mit Franziskus Abgottspon, Leiter Ressort Hörspiel ab 1986, vom 22.4.89
1. Hörspiel-Erfahrungen vor 1979
2. "Standortbestimmung" des Originalhörspiels
3. Dramaturgie / Regie / Redaktion
4. Dialekt - Hochsprache
5. Einflüsse des Neuen Hörspiels
6. Verhältnis zu anderen Abteilungen
7. Verhältnis zu Autoren
8. Verhältnis zu den Hörern / Öffentlichkeitsarbeit
9. Pressekritik und Preise
10. Hörspiel und Feature
11. Fragen zu einzelnen Produktionen
1. Hörspiel-Erfahrungen vor 1979
1.1. Haben Sie vor 1979 Hörspiele gehört? Welche sind Ihnen aus dieser Zeit bzw. aus Ihrer Jugend in Erinnerung geblieben?
1.2. Welche Erfahrungen haben Sie als "Sprech-Spieler" in der Abteilung Dramatik gemacht? Wie kamen Sie zum ersten Mal mit ihr in Kontakt?
1.3. Wie kam Ihr Entschluss, für Radio DRS zu arbeiten, zustande?
2. "Standortbestimmung" des Originalhörspiels
2.1 Was ist nach Ihrer Meinung ein gutes Originalhörspiel?
2.2 Welche Produktionen von Deutschschweizer Autoren der letzten 20 Jahre halten Sie für die besten?
2.3 Nach welchen Gesichtspunkten werden Wiederholungen programmiert? Ergäbe sich aus den Wiederholungen zwischen 1979 und 1989 ein Repertoire? Wird bewusst versucht, ein Repertoire aufzubauen?
2.4 Sind die grossen Hörspiel-Zyklen der 40er, 50er und 60er Jahre heute endgültig passé? Warum? Wäre eine Entsprechung zu Edgar Reitz' 11-teiliger Film-Chronik "Heimat" im Hörspiel denkbar?
2.5 Auszug aus Leo Schürmanns SRG-Strategie-Papier (1985): "Die SRG entwickelt neue Angebotsstrategien, um das Unternehmen in die Lage zu versetzten, den Herausforderungen der medialen Zukunft zu begegnen. Für die SRG am meisten erfolgversprechend dürfte die Strategie der Konzentration, Limitierung und Intensivierung sein. Die SRG setzt Leistungsschwerpunkte, konzentriert sich auf ihre Schlüsselmärkte und strebt auf diesen Märkten durch die Stärkung der qualitativen Programmleistungen die Position des Marktführers an." Was könnte dies für das Hörspiel bedeuten?
2.6 These: Ob das DRS-Hörspiel sich im Sinne der postulierten "Konzentration" in die "Leistungsschwerpunkte" eines künftigen Gesamtprogramms integrieren kann oder dem Gebot der "Limitierung" zum Opfer fällt, hängt ab - von der Aufrechterhaltung der Qualität der Hörspielproduktion und darüber hinaus von deren "Konzentration" und "Intensivierung" im kleinen Massstab - von der Weiterführung und Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit und von deren Erfolg. Dies würde konkret etwa bedeuten, dass eine "Strategie" im Sinne eines "Verlagsprogramms" entwickelt werden sollte, welche die Produktion noch bewusster als bisher auf die Befriedigung angestammter Hörerbedürfnisse einerseits, andererseits aber auch - durchaus im Sinne von neuen, schwierigen, experimentellen Produktionen - auf Innovation und Qualitätssteigerung abstellt. Was halten Sie davon?
3. Dramaturgie / Regie / Redaktion
3.1 Wer lektoriert die eingehenden Manuskripte? Nach welchen (impliziten/expliziten) Kriterien werden diese beurteilt? Was fällt allenfalls durch die Maschen dieses Netzes?
3.2 Hat sich die Einheit von Dramaturgie und Regie zu 100% bewährt?
3.3 Welche Bedeutung haben Geräusche heute im Hörspiel? Wie intensiv wird das Geräuscharchiv genutzt? In welchen Fällen werden Geräusche "nach Mass" hergestellt? Welche Nachteile hat Ambiance "aus der Konserve"?
3.4 Unter welchen Umständen sind Hörspielaufnahmen "vor Ort" sinnvoll? (Beispiel: Inglin, "Urwang"; Goethe, "Iphigenie")
3.5 "Innere Handlung, innerer Monolog, imaginärer Dialog, Dialog mit sich selber: das sind die Begriffe, von denen her man auch die Form des Hörspiels verstehen muss. Stets hat es - merkwürdig viel mehr als jede andere literarische Form - unmittelbar mit dem Gewissen des Menschen zu tun, der da lauscht." - Würden Sie diese Bestimmung des Hörspiels akzeptieren?
3.6 Was verstehen Sie unter sprachlicher Gestik (Frisch)?
3.7 Was meinen Sie zur Modernität des Schnitts? Halten Sie ihn auch für grundsätzlich "unsentimental" und für ein geeignetes Mittel der Verfremdung? Wie bzw. wie häufig wird heute die Blende verwendet?
3.8 Hat die Einführung der Stereophonie neue dramaturgische Möglichkeiten gebracht?
3.9 Paul Pörtner hat mit Modulatoren und Filtern "Stimm-Masken" geschaffen, "die sich ablösen von den Naturlauten und eigene Ausdruckskraft gewinnen". In Jarrys "Bürger Ubu" lässt er z.B. den maskierten Ubu mit seinem Gewissen (Naturstimme) sprechen. Was halten Sie von solchen Experimenten? Wurde bei Radio DRS schon Ähnliches versucht?
3.10 Stimmen Sie der Auffassung zu, dass sich seit Mitte der siebziger Jahre zwei "verdeckt widerstreitende Dramaturgien herausbildeten: die der HörSpiele und die der NebenbeihörSpiele"?
3.11 Seit 1963 sendete das WDR 3-Hörspielstudio Reihen unter anderem zu folgenden Schwerpunktthemen: Hörspiele anderer Sender (1963-67) - Prix Italia (1963/4) -Hörspiel in der Diskussion (1964-76) - Wunsch-Wiederholungen und Diskussion Junge Autoren im WDR (1965/6) - Der Mensch im Zeitalter der Technik (1965) - Das Hörspiel und seine Inszenierung mit Essays zur Dramaturgie (1967-68) - Der innere Monolog im Hörspiel (1967) - Experiment und Kritik der Sprache im Hörspiel (1968) - Verlust der Identität (1968) - Protest (1968) - Hörspiele der 50er Jahre (1969) - Reinhard Döhl: Versuch einer Geschichte und Typologie des Hörspiels in Lektionen (1970-80ff) - Komponisten als Hörspielmacher (1970-1980ff) - Autoren als Hörspielmacher (1971) - O-Ton (1972/3) - Neues Hörspiel. Beispiele (1973-76) - Hörspielgenres (1975-77) - Hörspielstudio: Repertoire (1977) - Rückzug nach Innen? (1977) - Hörspielpreise (1977).
Sähen Sie eine Möglichkeit zur Einführung ähnlicher Schwerpunkte? Welche könnten (evtl. in veränderter Form) übernommen werden? Könnte Döhls Hörspielgeschichte auch in der Schweiz gesendet werden?
3.12 These: Das Deutschschweizer Hörspiel leidet unter einem Theorie-Defizit. Neben Urs Helmensdorfers Bemühungen, die ganz auf dem Boden des traditionellen literarischen Worthörspiels basieren, gibt es kaum Alternativen. Entsprechend fehlt es an einer Diskussion, die neue Impulse geben könnte. Was halten Sie davon?
3.13 These: Das Deutschschweizer Hörspiel brauchte eine weit intensivere, konsequente redaktionelle Betreuung. Aufgaben: Gestaltung eines Hörspiel-Rahmenprogramms für das Ressort; Kontakte mit anderen Ressorts und "Lancierung" von Produktionen, Besprechungen und Hinweisen. Was halten Sie davon?
4. Dialekt - Hochsprache
4.1 "1963 machten wir im Montagsstudio den ersten Versuch mit dem Dialekt, weil wir glaubten, die Alltagssprache dürfe nicht nur für das biedere Dialektstück und zur Schilderung vergangener schöner Zeiten herhalten." (Leif Panduro: "My Namme-n-isch Matter") - Welchen Stellenwert hat nach Ihrer Meinung das Dialekt-Hörspiel heute in der Schweiz?
4.2 Jörg Steiner bezeichnet die Mundart als einen "Misstrauensgarant", der es ihm ermögliche, hochdeutsche Sätze zu übersetzen und so nachzuprüfen, "was mit ihnen los ist, wie gut sie sind, wie wichtig sie sind, was sie beinhalten, was an ihnen nicht stimmt, was man weglassen könnte." - Haben Sie Anzeichen solcher Selbstkontrolle bei Schweizer Autoren bemerkt?
5. Einflüsse des Neuen Hörspiels
5.1 Was haben Sie unter dem Titel "Neues Hörspiel" kennengelernt? Worin unterscheiden sich entsprechende Produktionen Ihrer Meinung nach vom "traditionellen", "konventionellen" Hörspiel? Wo sehen Sie Einflüsse des Neuen Hörspiels im Schweizer Originalhörspiel?
5.2 Silvio Blatter über Identifikation und Verfremdung: "Der tüchtigste Denkanstoss erreicht den Menschen über die Identifikation. Wenn sich einer mit einer meiner Figuren voll und ganz identifiziert, bis auf Seite 127, wo der vermeintlich so Vertraute plötzlich etwas macht, das dem Leser unverständlich scheint, das er 'nie' machen würde, dann habe ich ihn in einer Ecke, aus der er ohne Denken nicht mehr herauskommt." - Kennen Sie ähnliche Beispiele subtiler Verfremdung in Hörspielen von Schweizer Autoren?
6. Verhältnis zu anderen Abteilungen
6.1 Welche Erfahrungen wurden mit Kurz- und Kürzesthörspielen, Hörspots etc. gemacht? 1980-85 wurden wiederholt Kurzhörspiel-Serien in Sendegefässen wie "Agenda" und "Rendezvous am Mittag" untergebracht. Woher kam die Initiative dazu? Ist der Versuch gescheitert? Warum wird er nicht weitergeführt?
6.2 These: Die Hörspielabteilungen werden mehr und mehr "Zulieferant[en] kleiner Spielartikel" (Kurzhörspiele) für das permanente Programm. "Hörspiel löst sich dort auf im inszenierten journalistischen Totalhörspiel." (Schöning, 1982) Was halten Sie davon?
6.3 Produziert DRS-3 eigene Hörspiele? Autoren? Regisseure? (Daniel Lévy/Anja Franke: Hau ab! Nee, bleib hier! 1986) Werden in Zukunft auch Hörspiele für DRS-3 produziert? Worin unterscheiden sie sich von anderen?
6.4 Warum gibt es auf der "Kulturschiene" DRS-2 wohl eine Literatur-und Filmkritik, aber keine Hörspielkritik?
6.5 Wissen Sie etwas von Hörspielproduktionen durch Lokalradios? (ExtraBE, LoRa)
7. Verhältnis zu Autoren
7.1 "Immer noch lässt die Produktion auf dem Gebiete des Hörspiels zu wünschen übrig. Wohl ist das Angebot gross, aber nur ein kleiner Prozentsatz der eingehenden Arbeiten ist brauchbar. [...] Dabei ist allerdings festzustellen, dass die erfolgreichsten Stücke oft nicht von zünftigen Schriftstellern stammen, sondern von Aussenseitern." (Jahresbericht der RGZ 1941/42) "...selten geschieht es, dass ein Unbekannter uns ein gutes und aufführungsreifes Hörspiel vorlegt." (Jahresbericht RGZ 1942/43) - Was trifft davon heute noch zu?
7.2 "Sie kennen vielleicht ein paar Faustregeln. Aber es sind wenige, bei denen man das Gefühl hat, dass sie im Lauf der Zeit das Medium in den Griff bekommen. [...] Unsere Schweizer Autoren warten vielmehr am Schreibtisch auf den Musenkuss!" -Stimmt das? Welche Schweizer Autoren halten Sie für ausgesprochene Hörspiel-Autoren? Warum?
7.3 Ist es heute schwierig, Schweizer Hörspiel-Autoren zu finden? Warum? Wie gehen Sie dabei vor?
7.4 Wie wird die Möglichkeit, Autoren im Rahmen eines Stages anzustellen, von Kollegen des Ressorts Hörspiel beurteilt? Wird in Zukunft häufiger oder seltener davon Gebrauch gemacht? Was für Erfahrungen wurden mit Autoren gemacht, die selbst Regie führten (Silvio Blatter, Gerold Späth, Urs Widmer, Peter Jost)?
7.5 Warum wurden in Zürich nie Versuche gemacht, Komponisten als Hörspielmacher zu engagieren? Wäre eine improvisierende Zusammenarbeit, z.B. mit Jazzmusikern, denkbar? Wurde über solche Möglichkeiten in der Abteilung gesprochen?
7.6 "Viel zweckmässiger als Hörspiel-Wettbewerbe, bei denen die Autoren sich selbst überlassen sind, und die neben den wenigen brauchbaren eine Flut von indiskutablen Manuskripten einbringen, wird der direkte Auftrag sein. Programmleiter und Autor treten miteinander in engen Kontakt, der bis zur Fertigstellung des Hörspiels oder der Hörfolge, deren Thema und Gestaltung von uns weitgehend beeinflusst werden können, fortdauert." (Jahresbericht der RGB 1938/39) Was für Erfahrungen haben Sie mit dem gegenwärtigen Wettbewerb (1991) gemacht?
7.7 Wie gehen Sie heute bei Aufträgen vor? Inwieweit beeinflussen Sie Thema und Gestaltung? Wie eng wünschen Sie sich den Kontakt zu den Autoren?
7.8 Seit wann werden Auftragshörspiele von Schweizer Autoren mit dem doppelten Ansatz honoriert? Wie ist das Verhältnis zwischen Auftragshörspielen und eingesandten Arbeiten, die produziert werden?
7.9 Wie ist das Verhältnis zwischen eingesandten und produzierten Arbeiten?
7.10 In welchen Fällen verlangen Sie Exposés? Wie häufig erhalten Sie solche?
7.11 Wie finden Hörspiel-Autoren ihre Themen?
7.12 Sind Hörspiel-Autoren heute in der Regel auch fleissige Hörer?
7.13 Sehen Sie Unterschiede zwischen Autorengenerationen, die sich in Thematik und Form der in den letzten 20 Jahren produzierten Hörspiele ausdrücken? Wen zählen Sie zur jüngsten Generation? In welche Richtung bewegt sich diese?
7.14 These: Neben dem Typus des Autors als eines "Manuskriptlieferanten" müsste vermehrt der Typus des "Hörspielmachers" gefördert werden. Was halten Sie davon?
8. Verhältnis zu den Hörern / Öffentlichkeitsarbeit
8.1 "Die Zusammenarbeit mit Schweizer Autoren stösst auf vermehrtes Interesse aus dem Hörerkreis. Das beweisen viele Anfragen über Autoren und Inhalte der Hörspiele und die zahlreichen Bestellungen unserer Hörspielbroschüre." (Jahresbericht RFZ, 1981) - Hielt dieses Interesse bis heute an? Worin ist es begründet?
8.2 These: "Das Abschalten der Empfangsanlage durch die geistig stumpfe Hörermasse bei einer ernsten Literatursendung ist ein sicheres Ventil gegen eine etwaige Massenverkitschung der Literatur. Selbst wenn wir, wie einige meinen, uns privatkapitalistisch auf die literarisch unreife Hörermasse einstellen wollen [...], wäre es gerade privatkapitalistisch sehr ungeschickt von uns, einen Absatz dort zu suchen, wo keiner möglich ist." Was halten Sie davon?
8.3 These: Die Brechtsche Forderung, der Rundfunk sei "aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln", hat heute für das Hörspiel kaum Bedeutung. Was halten Sie davon?
9. Pressekritik und Preise
9.1 Nach was für Kriterien werden Hörspiele bei der Ausscheidung für den Prix Suisse und für den Prix Italia beurteilt?
9.2 In welchem Turnus stellt die Schweiz ein Jury-Mitglied für den Prix Italia?
10. Hörspiel und Feature
10.1 Haben sich Ihre Erfahrungen als Feature-Autor auf Ihre Regiearbeit in Hörspielen ausgewirkt? Inwiefern? Konkrete Beispiele?
10.2 These: Die Personalunion von Feature- und Hörspielmachern ist eine Chance, die zuwenig genutzt wird. Zwischen Feature- und Hörspieldramaturgie müssten Übergänge gesucht, statt Grenzlinien gezogen werden. Was halten Sie davon?
11. Fragen zu einzelnen Produktionen
11.1 Welche Erfahrungen haben Sie bei der Parallelproduktion von Jürg Amanns "Der Sprung ins Wasser. Monolog in zwei Fassungen" gemacht? Worin unterschied sich Ihre Fassung am meisten von Walter Baumgartners Inszenierung? Wurden die beiden Versionen kommentiert?
11.2 Welches Hörspiel von Peter Jost halten Sie für das beste?
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