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Zur Unterscheidung von Hörfolge, Feature und O-Ton-Collage

Eine Möglichkeit, genuin radiophone Formen zu entwickeln und zugleich »schweizerisches Denken« durch die besondere Wahl der Stoffe und durch die Art der Gestaltung zu vermitteln, sah man in den fünfziger Jahren vor allem im Bereich der Hörfolge, deren Pflege besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Studio Zürich produzierte mehrteilige Serien, zum Beispiel unter den Sammeltiteln »Kunstfahrten in die Ostschweiz« (1945), »Unsere Berge« (1947/48), »Berühmte Quartiere und ihre Musik« (1948), »Opernhäuser« (1948), »Landschaften« (1949), »Betriebe einer Grossstadt« (1949/50), »Schulen« (1950), »Galerie berühmter Frauen« (1950), »Sonderlinge« (1950), »Strassen« (1950), »Frühvollendete« (1950), »Ostschweizer Städtchen« (1951), »Im Schatten der Grossen« (1952), »Spitäler« (1952), »Schlösser« (1954). Heinrich Böll karikierte die entsprechende Praxis deutscher Sender, alle nur denkbaren Themen in dokumentarischer Form für das Rundfunkprogramm aufzuarbeiten, mit dem Slogan: »Verfeature du mich; dann verfeature ich dich...«1 Aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit schien in der Sparte der Hörfolge »der Programmwille von Beromünster am deutlichsten zum Ausdruck« zu kommen, während man schon Mitte der fünfziger Jahre einsah, dass »in der Hörspieldramaturgie auch ausserhalb unseres Landes eher eine Erstarrung der bewährten Formen« eingetreten war.2 Kurt Bürgin legte Wert auf den Ausdruck »Hörfolge« und grenzte ihn gegenüber dem angelsächsischen »feature« ab, das sich nach dem Krieg im deutschsprachigen Ausland eingebürgert hatte: »Sowenig das Wort ›feature‹ bei uns Eingang gefunden hat, so gering sind auch die Berührungspunkte mit der im Ausland dominierenden Form dieser Sendegattung. Wir gehen auf diesem Gebiet der Programmgestaltung grundsätzlich andere Wege, wobei die Form dem Inhalt untergeordnet bleibt.«3 Wie im Hinblick auf das Hörspiel, so schien es auch beim Feature, diesmal auch in formaler Hinsicht, angezeigt, schweizerische »Eigenart« gegenüber dem bedrohlich Fremden abzugrenzen. Dennoch sah man in der Hörfolge ein eigentliches »Experimentierfeld«, welches Möglichkeiten zur Behandlung fast aller Stoffe in enger Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Studios und Autoren bot.4 Eine ziemlich klare Bestimmung der Hörfolge in Abgrenzung zu anderen Programmformen liefert der folgende Ausschnitt:

»Sie umfasst den ganzen Bereich zwischen Vortrag und Hörspiel. In ihrer einfachsten Form, der sinnvollen Aufteilung des Textes auf verschiedene Sprecher, grenzt sie unmittelbar an den Vortrag; in ihren kunstvollsten Gebilden, die die volle Entfaltung der formalen Phantasie erlauben, steht sie dem Hörspiel nahe, von dem sie sich durch das Fehlen einer dramatischen Handlung unterscheidet. Auch ihrem Gehalt nach füllt sie diesen Zwischenbereich aus. Sie will, wie der Vortrag, informieren, gleichzeitig aber auch, wie es das Hörspiel zu tun versucht, eine künstlerische Wirkung ausüben. [...] Ausdrücke wie Hörbericht und Hörbild weisen, wenn auch undeutlich, in bestimmte Richtungen; im einen Fall liegt der Hauptakzent auf der sachlichen Berichterstattung, im andern werden die charakterisierenden, also die künstlerischen Absichten hervorgehoben. Noch hat sich die endgültige Ausformung der Hörfolge nicht vollzogen, die Grenzen sind fliessend, die Entwicklung dauert an.«5

Eine gewisse Verengung des thematischen Spektrums ergab sich durch die Einführung des Fernsehens, das visuell ergiebige Stoffe übernahm und dem Radio diejenigen überliess, »die sich vorab an den Intellekt richten«.6

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Im Verlauf der siebziger Jahre nahm die Zahl der als »Hörfolgen« bezeichneten Produktionen stetig ab. Entsprechende Sendungen mit dokumentarischem Gehalt, aber auch Originalton-Collagen, die im Ausland als Sonderform des neuen Hörspiels galten, wurden in den achtziger Jahren als »Features« bezeichnet und in den Produktionsauftrag der Abteilung »Dramatik« integriert, die sich ab Mai 1979 Abteilung »Dramatik und Feature« nannte.

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Für das Feature wurde eine eigene Fachredaktion geschaffen, deren Leiter, Walter Baumgartner, das Schaffen von Mitarbeitern verschiedener Ressorts und Abteilungen koordiniert.

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An der Grenze zwischen Hörspiel und Feature steht das Originalton-Hörspiel, das bei Radio DRS in der Regel bewusst neutral als »Collage mit Originalaufnahmen« bezeichnet wurde. In den siebziger Jahren entstanden mehrere Produktionen dieser Gattung. Sie konnten sich an einer breiteren Produktion deutscher Rundfunkanstalten orientieren, welche Schöning 1974 in einer eigenen Anthologie auch dem lesenden Publikum vorstellte. Auf eine Idee des deutschen Hörspielmachers Konrad Hansen stützte sich denn auch die erste derartige »Collage mit Originalaufnahmen« von Willy Buser und Guido Wiederkehr mit dem Titel »...z'friede, so wie's isch« (DRS-2, 5.3.72), welche Äusserungen aus der persönlichen Lebenserfahrung von acht Schweizerinnen und Schweizern zu unmittelbar hörbarer Weltanschauung zu verarbeiten versuchte (vgl. Kap.4.412); eine gewisse Ähnlichkeit mit der Intention von Paul Wührs »Preislied«, das knapp ein Jahr zuvor vom Bayerischen Rundfunk urgesendet worden war, ist nicht zu verkennen. In den folgenden Jahren wurden mehrere ähnliche Collagen produziert, deren Form zum Teil von der eines modernen Originalton-Features kaum mehr zu unterscheiden ist. Nach der Zuordnung des Features zum Kompetenzbereich der Abteilung »Dramatik« im Jahr 1979 wurden ähnliche Produktionen als »Features« bezeichnet, so etwa Willy Busers »Sie sin nid fremd... Eine Sendung über Adoptionen fremdrassiger Kinder. Erfahrungen und Meinungen von Adoptiveltern, Aussagen von Mitarbeitern zweier Hilfswerke, Informationen von Behörden« (DRS-2, 19.5.79).

Die Erweiterung der Abteilung »Dramatik« um die Sparte des Features kam einer Rehabilitierung dieser Form gleich, die seit ihrer Herabsetzung gegenüber der als typisch schweizerisch empfundenen »Hörfolge« in der Mitte der fünfziger Jahre im Programm des Deutschschweizer Radios als solche kaum vertreten war. Die intensive Beschäftigung mit dem Feature ermöglichte es einzelnen Hörspielregisseuren, neue Erfahrungen zu machen, welche direkt oder indirekt auch in die hörspieldramaturgische Praxis übergingen. Franziskus Abgottspon stellte fest, dass er gerade auch durch die Feature-Arbeit »Vertrauen ins Wort« gewonnen und gelernt habe, nicht jede Aussage mit Geräuschen zu untermalen; den Umgang mit Redundanz sowie die Übung im Einteilen der Zeit hält er für wichtige Erfahrungen, welche sich auf die Hörspielarbeit übertragen lassen.7 Die Vorteile, die aus der Personalunion von Feature-Autoren und Hörspielregisseuren erwachsen, sollten und könnten noch bewusster ausgeschöpft werden. In dieser Hinsicht wäre von den Errungenschaften des Neuen Hörspiels zu profitieren, das die Integration getrennter Sparten geradezu anstrebte.8 Die fliessenden Übergänge und »fruchtbaren Überschneidungen«9 kamen trotz der organisatorischen Zusammenfassung von Hörspiel und Feature in einer Abteilung noch nicht so zum Tragen, wie man sich dies vorstellen könnte.

1986 wurde eine unabhängige Fachredaktion »Feature« als »offenes Forum für Mitarbeiter aller Abteilungen und Ressorts« gebildet, »die anspruchsvolle featureartige Sendungen gestalten wollen«10 ; der Leiter soll ein Mitarbeiter des Ressorts »Hörspiel« sein. Die neue Konzeption sowie die Neuregelung der Abgeltung von Sendeentschädigungen zwischen der SRG und den Autorenrechtsgesellschaften machten eine definitorische Klärung des Begriffs »Feature« nötig. Nach mehreren Ansätzen legte sich die Fachredaktion 1988 auf folgende, für die praktische Anwendung in verschiedensten Ressorts und Senderedaktionen zugeschnittene Bestimmung fest:

»Als Feature wird bei Radio DRS bezeichnet: eine im Studio vorproduzierte Radiosendung

Kriterium der Unterscheidung vom Hörspiel ist der im ersten Punkt genannte dokumentarische Gehalt, dessen Vermittlung grundsätzlich der in der Konzession vom 1.1.88 geforderten »sachgerechten Darstellung der Ereignisse« zu entsprechen hat. Die im zweiten und dritten Punkt beschriebenen Eigenschaften verbinden das Feature mit dem Hörspiel und machen es gleich diesem zu einer Sendeform, die Zuhören erfordert und sich dem Nebenbeihören verschliesst. Das Feature soll zum Nachdenken anregen, Zusammenhänge erkennbar machen, Hintergründe durchscheinen lassen. Es versucht »die platte Realität in eine formale Ordnung zu bringen, durch Schnitt und Montage Gewichte zu verteilen, Durchblicke zu ermöglichen, kurz, Perspektiven aufzuzeigen.«12 Gleiches gilt für das Hörspiel, das dieses Ziel durch die Gestaltung fiktionaler Inhalte anstrebt.

 

 1 H.Böll, Doktor Murkes gesammeltes Schweigen (1955), in: H.Böll, Werke. Romane und
     Erzählungen 3, 1954–1959, hrsg. v. B.Balzer, Köln (Kiepenheuer & Witsch) o.J., S.183

  2 26.Jahresbericht der SRG, 1956, S.20 f. K.Bürgin, in: 30.Jahresbericht der RGBE, 1955, S.13

  3 K.Bürgin, in: 30.Jahresbericht der RGBE, 1955, S.13

  4 vgl. 26.Jahresbericht der SRG, 1956, S.21

  5 35.Jahresbericht der RGZ, 1958, S.23; vgl. auch 34.Jahresbericht der RGZ, 1957, S.16

  6 39.Jahresbericht der RGZ, 1962, S.30 f

  7 Tonbandaufzeichnung eines Interviews mit F.Abgottspon vom 22.4.89

  8 vgl. Schöning, 1970, S.261

  9 Schöning, 1974, S.11

10 W.Baumgartner, Konzept Fachredaktion Feature, Basel (RDRS) 28.10.85, S.1

11 W.Baumgartner, Heimat – mit Fragezeichen, in: Feature-Programm Juni-August 1988, RDRS

12 W.Baumgartner, F-(Feature)-Philosophie, in: Pgr 2/89, S.21