Geschichte des Deutschschweizer Hörspiels 1925-1990: Zusammenfassung

Die Entwicklung der Dramaturgie des Deutschschweizer Hörspiels bis 1965 wird in Kapitel 4.1 im Überblick dargestellt. Dieser wichtige Aspekt des zweiten Teils kann deshalb in der Zusammenfassung ausgeklammert werden. Die folgenden Ausführungen beschränken sich also auf die Entwicklung des Hörspiels in ihrer Beziehung zur Zeit geschichte und zur Geschichte der Institution.

Man kann drei grosse Entwicklungsperioden unterscheiden: die Frühzeit von den Anfängen des Radios bis zum Ende des zweiten Weltkriegs, die Nachkriegsperiode bis 1965 und die »Abteilungs«-Ära mit ihrem Nachspiel bis zum heutigen Tag. Alle drei Perioden beginnen mit einem starken Aufschwung und enden in der Krise. Die erste Periode nimmt ihren Anfang eigentlich erst um 1927, nachdem der Vorrat an Sendespielen ausgeschöpft ist, mit den Originalhörspielen von Richard Schweizer. Ein Etappenziel wird 1931 mit Paul Längs Rundfunk-Epopöe erreicht, die sich stark an deutschen Vorbildern orientiert und das Schweizer Hörspiel, allerdings mit einer Verzögerung von zwei Jahren, auf den Standard der internationalen Hörspielproduktion hebt. Trotz der bald danach einsetzenden Besinnung auf nationale Werte vermag es mit der ausländischen Entwicklung bis zum Ende der dreissiger Jahre Schritt zu halten. Als Höhepunkt der ersten Periode kann man Arthur Weltis »Napoleon von Oberstrass« betrachten, eine Produktion, die von den technischen und dramaturgischen Möglichkeiten ihrer Zeit Gebrauch macht und Probleme von nationaler Bedeutung differenziert und wirkungsvoll behandelt. Zwänge und Beschränkungen des Kriegsregimes, vielleicht auch der Mangel an Anregungen aus dem Ausland liegen der anhaltenden Krise zugrunde, der das Hörspiel danach während Jahren verfällt. Zum Teil wird es zu propagandistischen Zwecken im Dienste der Geistigen Landesverteidigung missbraucht. Das anfänglich kooperative Verhältnis zwischen Autoren und Vertretern des Radios weicht im Laufe der dreissiger Jahre einer für die »Geistesarbeiter« wenig attraktiven Geschäftsbeziehung zwischen Auftraggebern und Textlieferanten. Während der Kriegsjahre macht sich der Mangel an Hörspielautoren immer deutlicher bemerkbar.

Demokratisierung des Verhältnisses zwischen Programmgestaltern und Publikum sowie das Bemühen um Aktualisierung der Programminhalte führen schon bald nach dem Krieg aus der allgemeinen Radiokrise heraus. Das Mundarthörspiel erlangt in dieser zweiten Periode mit einer Reihe von unterhaltenden Serien ungeahnte Popularität, die bis in die Mitte der sechziger Jahre anhält und einer ganzen Generation von Radiohörerinnen und -hörern bis heute in Erinnerung geblieben ist. Das literarische Hörspiel in hochdeutscher Sprache hingegen erlebt mit der Ablehnung von Dürrenmatts Erstling einen peinlichen Fehlstart. Sowohl Dürrenmatt als auch Frisch können in Schweizer Radiostudios nicht heimisch werden und überlassen ihre Hörspiele vornehmlich bundesdeutschen Sendeanstalten zur Produktion; dies scheint zum Teil mindestens eine Folge des unausgeglichenen Verhältnisses zwischen den Exponenten des Mediums und den Schriftstellern zu sein. Zu einer engen Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten, wie sie sowohl Frisch als auch Dürrenmatt im Bereich des Theaters verwirklichen können, kommt es beim Radio nicht; der Schreibtisch bleibt die Werkstatt des Hörspielautors. Der Höhepunkt des schweizerischen Hörspielschaffens dieser Periode besteht im Werk der beiden grossen Autoren, das sich nur dank ausländischer Förderung entwickeln kann und dessen wirkliche, über ihre Zeit hinausweisende Bedeutung in der Heimat nicht erkannt wird. In den Schweizer Studios entsteht im Laufe der fünfziger Jahre eine grosse Zahl ernster Hörspiele, die aber den Vergleich weder mit den Arbeiten von Frisch und Dürrenmatt noch mit den herausragenden Werken des literarischen Worthörspiels in der BRD aufnehmen können. Wiederum stellt man gegen Ende der Periode einen Mangel an qualifizierten Autoren fest, ohne dass man diesmal den ungünstigen politischen Umständen die Schuld zuweisen könnte. Die Krise des literarischen Hörspiels von Radio Beromünster hat ihre Ursache nicht in einem »Versäumnis der Dichter«, sie ist hausgemacht. Sie beruht zum einen und zur Hauptsache auf einem zu starren dramaturgischen Konzept (vgl. Kap. 4.13), zum andern aber auch auf der mangelnden Kooperationfähigkeit der Produzenten.

Zwischen der zweiten und der dritten Periode liegt der stärkste Einschnitt, der durch mehrere Umstände bedingt ist. Im Hinblick auf die Institution bedeutet das Jahr 1965 nahezu einen Neubeginn nach einer langen Phase der Reorganisation; diese hat unter anderem zur Folge, dass die Kräfte des Hörspiels in der Abteilung »Dramatik« konzentriert werden und sich nun unter der Leitung von Hans Hausmann voll entfalten können. Von grosser Bedeutung ist die Ablösung der alten Garde der Radio-Allrounder durch eine neue Generation von ausgebildeten Theaterleuten, die aber nach wie vor als Dramaturgen und Regisseure zugleich auftreten. Aufbruchstimmung und Euphorie der Zeit um 1968 mögen zum erneuten Aufschwung des Hörspiels beigetragen haben. Entscheidend ist aber, dass die Mitarbeiter der Abteilung »Dramatik« den Kontakt zu den Schriftstellern suchen und mit einer offeneren Haltung auf diese zugehen. Auch die Honorare für Hörspielmanuskripte werden angehoben und stehen zum ersten Mal in einer vertretbaren Relation zu den professionellen Leistungen der Verfasser. So entwickelt sich das Radio in den siebziger Jahren zu einem Einstiegsmedium für junge Autoren; aber auch Werke älterer Autoren, die unter den früheren Verhältnissen nicht zum Zug gekommen sind, werden nun produziert. Die Krise, die 1986 einsetzt, ist diesmal allein durch äussere, politisch-ökonomische Umstände, durch die medienpolitischen Veränderungen im Gefolge der Zulassung von Privatradios, bedingt und trifft das Hörspiel in dem Moment, da sich zwischen den experimentellen Ansätzen des Neuen Hörspiels und dem traditionellen Worthörspiel eine fruchtbare Verbindung anbahnt. Dieser Integrationsprozess ist heute noch keineswegs abgeschlossen, aber seit der Abschaf fung der Abteilung »Dramatik« fehlt dem Hörspiel die institutioneile Basis, und vor allem fehlt es heute mehr und mehr an den nötigen finanziellen Mitteln. Das Medium schickt sich an, seinen einzigen originalen Produkten, dem Hörspiel und dem Feature, die Lebensgrundlage zu entziehen.