1968         1970

Jacob Fischer
Helvetiastraass 17. Dialekthörspiel in fünf Folgen (37' / 40' / 32' / 42' / 41')
Typoskript der 2.Folge bei SLA, Bern
Dialekt Kriminalhörspiel Musik: Hans Moeckel Verfilmung durch Buchmüller, 1970 [D&F]
Robert Bichler, Zürich
6.1.69 / 13.1.69 / 20.1.69 / 27.1.69 / 3.2.69
69 (DRS-1, 5 x 2 Sdg.), 74 (DRS-1, 5 x 1 Sdg.), 82 (DRS-1, 5 x 1 Sdg.)
 
r+f 1/69, Bruno Felix, Helvetiastraas 17
NZZ, 7.1.69, xb., "Helvetiastrasse 17"
NZZ, 7.2.69, xb, Schleppende Irrungen und Wirrungen. Die Hörspielreihe "Helvetiastrasse 17"
tvrz 29/74, S.65, --, Schrulliger Pfarrer. Jacob Fischer: "Helvetiastraass 17"
 
"1963 machten wir im Montagsstudio den ersten Versuch mit dem Dialekt, weil wir glaubten, die Alltagssprache dürfe nicht nur für das biedere Dialektstück und zur Schilderung vergangener schöner Zeiten herhalten." [Pgr 2/68, letzte Seite]
["...erster bewusster Versuch..., den Dialekt für das unkonventionelle Hörspiel nutzbar zu machen" in der Dialektübertragung von Leif Panduros 'My Namme-n-isch Matter"; vgl. Pgr 3/74, S.18]
 
"Die Nachfrage nach Dialekthörspielen ist ebenso gross wie die Scheu junger Autoren, Dialekt zu schreiben. In der Tat läuft hierzulande ein Schriftsteller Gefahr, in Kritikerkreisen nicht mehr ganz für voll genommen zu werden, wenn er sich auf die 'Dialektbühne' begibt. Mit 'Helvetiastraass 17' glaubt Jacob Fischer nun aber, einen Stoff gefunden zu haben, bei dem der Dialekt mehr ist als ein blosses Zugeständnis an den Publikumsgeschmack.
Die Geschichte vom liebenswürdig-schrulligen Pfarrer Iseli, der herzkrank und abenteuerlustig ins Unterland fährt und den Glauben an sich und die Welt wiederfindet, gewinnt ihre Echtheit erst im alltäglichen Milieu unserer Umgangssprache." [Pgr 1/69, S.3]
 
"Für uns fing es eigentlich mit einem Brief an. Jacob Fischer, den wir als Fernseh-Mann und Journalisten kannten, schrieb uns, ob wir an einer Dialekt-Hörspielreihe immer noch interessiert wären; er habe nämlich das Gefühl, es sei in Zürich schon eine ganze Weile nichts Derartiges produziert worden. Wir hätten doch so viele erstklassige, populäre Schweizer Schauspieler zur Verfügung, für die es sich lohnen würde, etwas zu schreiben, und er hätte eine Idee. Wir fanden, er hätte durchaus recht und schauten uns seine Idee an. Von da an stritten wir uns eigentlich nur noch um die Termine, an denen die Manuskripte abgeliefert werden sollten, denn eines war uns sofort klar: diese Idee musste realisiert werden. Glanzrollen für Margrit Rainer und Ruedi Walter, für Paul Bühlmann, Inigo Gallo, Fred Tanner, Jörg Schneider, Ulrich Beck und daneben auch die Gelegenheit, einigen jungen Schauspielern wie Liselotte Favri und Paul Weibel die vielzitierte erste Chance zu geben, das war schon sehr verlockend. Dann war da aber auch eine Geschichte, die kriminalistische Spannung und die skurrile Person eines detektivisch begabten Geistlichen mit dem Grossstadtmilieu des Industriequartiers nahtlos verbindet. Dabei bleibt dieser Pfarrer Iseli, obwohl er mit Father Brown und Don Camillo zwei renommierte ausländische Verwandte besitzt, ein typischer Schweizer, der sich in unserem schweizerischen Alltag zu bewähren hat.
Jacob Fischer schrieb also für uns die fünf Folgen seines Hörspiels. Wir besprachen die Manuskripte zusammen, änderten, trieben den Autor, der wie fast alle seine Kollegen mit Lieferterminen auf Kriegsfuss steht, zur Eile an, und im Laufe des letzten Herbstes fanden unter der Regie von Robert Bichler die Aufnahmen statt. Ruedi Walter spielt den Pfarrer Iseli, der aus seinem Bündner Dorf in die Stadt kommt, um sein ehemaliges Pfarrkind vor einer Mordanklage und der eigenen Verzweiflung zu retten; Margrit Rainer, seine Haushälterin, die durch die pfarrherrlichen Eskapaden oft hart geprüft wird; Inigo Gallo einen Kriminalkommissar mit Herz und Paul Bühlmann den Onkel des vermeintlichen Mörders, der durch seine Vorliebe für alkoholische Getränke und seine Abneigung gegen jede Tätigkeit, die nach Arbeit riecht, etliches zur Komplizierung des Falles beiträgt. Jörg Schneider und Ulrich Beck setzen dem Sensationsjournalismus ein würdiges Denkmal. Sie alle hatten bei den Aufnahmen den Spass, den wir Ihnen beim Zuhören wünschen. Dem Autor allerdings ist es gelungen, auch noch einen letzten Termin zu versäumen. Anstelle dieses Artikels sollte nämlich ein Interview von 'radio + fernsehen' mit Jacob Fischer stehen, das aus Termingründen ausfallen muss..." [r+f 1/69, Bruno Felix]
 
"Pfarrer Iseli, dargestellt von Ruedi Walter, wurde durch unsere letztjährige unterhaltende Hörspielserie 'Helvetiastraass 17' so populär, dass er in allernächster Zeit auch im Film erscheinen wird. Nun haben wir eine zweite Serie produziert [Pfarrer Iseli], in deren Verlauf der herzkranke Detektiv-Pfarrer einen neuen Fall löst." [Pgr 1/70, S.3]
 
"Die Hauptrolle in dieser erfolgreichen Produktion, die auch verfilmt wurde, spielen Margrit Rainer und Ruedi Walter." [Pgr 2/74, S.15]
 
 

Jürg Federspiel
Die Märchentante. Einakter (30')
[D&F]
Bruno Felix, Zürich
26.1.69
69 (DRS-2, 2 Sdg.)
 
r+f 4/69, --, Jörg Federspiel: Die Märchentante
NZZ, 27.1.69, zd, "Die Märchentante"
 
als Erzählung 1971 erschienen [SSV]
vgl. J.F., Museum des Hasses. Tage in Manhattan, München (Piper) 1969, Zürich (ExLibris), S.41-43
 
"Der Schweizer Autor Jürg Federspiel, 38, stellt in seiner 'Märchentante' drei Personen, zwei feindliche Brüder und eine Frau, eine Märchentante, in eine Endsituation und zeigt mit bitterbösem Humor in vielfältigen und beziehungsreichen Bildern menschliche Grundverhaltensweisen auf.
Federspiel über sich und seine Umwelt: 'Wir leben in einem Land stiller Mörder. Nicht im Sinne der Psychologie, im Sinne der verhinderten Mörder. Nein, im Sinne der Gleichgültigkeit, die immer eine Hurentochter des Glücks ist und die sich dann Zufriedenheit nennt.
Was mich betrifft: manchmal fürchte ich zur Gleichgültigkeit zu neigen und werde unruhig darüber. Und dann bin ich undiszipliniert und feige genug, meine Unzufriedenheit am Nächsten und Unbesten abzureagieren. Nachts schlafe ich oft schlecht. Man sagt mir, dass ich im Schlaf mit den Zähnen knirsche. Was das Psychologische solchen Tuns betrifft, so werde ich damit fertig werden. Was über das Psychologische hinausgeht, über die Hintergründe meines Zähneknirschens eben: Da träume ich. Und ich glaube zu wissen, wovon ich träume und weshalb ich mit den Zähnen knirsche: Wir entrinnen nicht, wir sind niemals Entronnene, es gibt stündlich den Löwen, der auf uns wartet, auf uns, die scheinbar Entronnenen.'" [r+f 4/69]
 
 

René Regenass
Wer kennt den Mann? (30')
Kurzhörspiel Montagsstudio Hörspiel-Erstling [D&F]
Joseph Scheidegger, Basel
3.2.69
69 (DRS-2, 1 Sdg.), 72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
r+f 5/69, Guido Wiederkehr, René Regenass: Wer kennt den Mann
 
erstes grösseres Werk von R.Regenass [Pgr 1/69, S.7]
von E. Pulver als "interessant" bezeichnet [Kindler 1974, S.354]
 
"René Regenass, ebenfalls Basler, Jahrgang 1935, ist, nach einigen Jahren schriftstellerischer Arbeit im verborgenen, 1967 erstmals mit Prosatexten in der 'National-Zeitung' und bald darauf in Nr.7 der 'Blätter des Basler Literaturkredits' aufgefallen. In einer von der 'Gruppe Totentanz' veranstalteten Lesung und der von ihr herausgegebenen literarischen Zeitschrift 'Drehpunkt' hat er neue Aspekte seines Schaffens gezeigt. Das Hörspiel 'Wer kennt den Mann?' ist sein erstes grösseres Werk, dem als nächstes im Februar dieses Jahres der im Wagner-Verlag, Bern, erscheinende Band von Erzählungen und Kurzgeschichten 'Der Besuch blieb meist über Nacht' folgt.
'Wer kennt den Mann?' ist in einem völlig andern Sinn als Schmidlis 'Redensarten' ein Experiment. Formal nicht ausgefallen, wenn auch durch die achronologisch ineinandergreifenden Sequenzen überraschend gegliedert, lässt sich doch darin ohne weiteres eine zusammenhängende Handlung verfolgen. Ein alter Mann möchte in den letzten Stunden seines Lebens seine Vergangenheit bewältigen, sie zum Teil sogar abändern, wobei er aber an den Tatsachen und auch an sich selbst scheitert. Doch nicht Resignation oder das Bewusstsein von Ohnmacht ist der bestimmende Eindruck, den das Hörspiel hinterlässt. Dominierend bleibt ein Gefühl des Staunens und der Verblüffung, einem Einzelgänger begegnet zu sein, der ohne zu zögern, ohne Aggression und ohne Verzweiflung, zur Bewahrung seiner inneren Freiheit auf Anerkennung in der Gesellschaft verzichtet hat. Eine solche Intensität geht von diesem alten Mann aus, dass selbst der Tod für ihn nichts Endgültiges und Vernichtendes an sich hat, sondern Aufbruch zu neuem Leben bedeutet.
Dies alles scheint höchst unmodern zu sein. Da werden die scharfen und geheimnislosen Konturen der materiellen Wirklichkeit zugunsten eines stillen, vieldeutigen und verfliessenden Phantasie- und Traumreichs aufgegeben. René Regenass ist aber keineswegs ein Autor, der sich, von der aktuellen Gesellschaft und Technik angewidert, zu einem mit dem Illusionsarsenal längst verblichener Generationen entnommenen verstaubten, wurmstichigen und mottenzerfressenen Requisiten ausgestatteten Dasein entschlossen hat. Nur ist er der Überzeugung, dass in einer Epoche, in der die politischen und wirtschaftlichen Systeme aller Völker wegen der überwältigenden technischen Errungenschaften neu gestaltet werden müssen, die Menschheit ihre seelischen Kräfte nicht verkümmern lassen darf. Die Grundlage jedes kulturellen Fortschritts ist die Bereitschaft, den Mitmenschen zu respektieren. Für diese Art von Humanismus, unabhängig von intoleranter Dogmatik und Ideologie, setzt er sich bedingungslos ein, und in diesem Sinn ist sein Hörspiel ein Experiment: ein Versuch, den Zuhörer für die Ansicht zu gewinnen, dass das Ziel der Menschheit nicht materieller Wohlstand, technische Perfektion und wissenschaftliche Unfehlbarkeit sei, sondern die Überwindung der brutalen Ichbezogenheit des einzelnen und seine Sucht, pauschal zu verurteilen, was er nicht begreift. Wie Edward Bond im Vorwort zu seinem Schauspiel 'Gerettet' verlangt auch René Regenass, anstelle einer auf einem Glauben ruhenden Moral, der allgemein abhanden gekommen ist, eine Moral, die im Verstehen der von der Wissenschaft entdeckten Gegebenheiten gründet - und in der Ehrfurcht vor dem Nächsten wie vor sich selbst." [r+f 5/69, Guido Wiederkehr]
 
"Ein alter Mann möchte in den letzten Stunden seines Lebens seine Vergangenheit bewältigen, sie zum Teil sogar abändern, wobei er aber an den Tatsachen und auch an sich selbst scheitert." [Pgr 3/72, S.16]
 
 

Werner Schmidli
Redensarten. Drei Auseinandersetzungen für zwei oder mehrere Personen (12')
Typoskript
Typoskript bei SLA, Bern
Kurzhörspiel Auftrag Montagsstudio 3 [D&F]
Joseph Scheidegger, Basel
3.2.69
69 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
r+f 5/69, Guido Wiederkehr, Werner Schmidli: Redensarten. Auseinandersetzungen für zwei oder mehrere Personen
 
Drittes Hörspiel von W.Schmidli, zusammen mit René Regenass' Hörspiel "Wer kennt den Mann?" gesendet [Pgr 1/69, S.7]
W.S., Redensarten gestern - heute - morgen, in: Pro Argovia (Hrsg.), Begegnung mit der Zukunft 1969
 
"Der Basler Werner Schmidli, 1939 geboren, bekannt geworden durch seinen Erzählband 'Der Junge und die toten Fische' und seinen Roman 'Meinetwegen soll es doch schneien', hat erst kürzlich mit Erfolg weitere Erzählungen unter dem Titel 'Der alte Mann, das Bier, die Uhr und andere Geschichten' veröffentlicht und gehört zum Redaktionsstab der literarischen Zeitschrift 'Drehpunkt'. Als Hörspielautor ist er bisher mit 'Gespräch um Nichts' und 'Die Geschichte des Matthias' hervorgetreten.
Charakteristisch für ihn ist sein Leiden an der Sprache. Das bestürzende Erlebnis der schriftdeutschen Sprache als einer Fremdsprache, das kaum je einem Schriftsteller schweizerdeutscher Zunge erspart bleibt, hat ihn ganz besonders gezeichnet. Er war anfänglich so sehr in seiner Mundart verwurzelt, dass sie ihm jede Unmittelbarkeit im schriftsprachlichen Ausdruck verwehte. Durch systematische und regelrechte Studien rang er sich zu einer differenzierten Kenntis des schriftdetuschen Duktus durch, ohne dabei die schweizerische Eigenart verleugnen zu wollen. Einmal im Besitz des handwerklichen Rüstzeugs, begann er sich furchtbar [sic!] mit den verschiedenen literarischen Gattungen auseinanderzusetzen, wobei er sich gleicherweise zu lyrischer, dramatischer und epischer Aussage gedrängt fühlte. Dementsprechend wurden ihm nun Inhalt und Struktur seines Schreibens zum zentralen Problem. Aber gewissermassen gegen seinen Willen musste er dabei erkennen, dass es der Sprache, der geschriebenen wie der gesprochenen, an der er sich schulte, und an der er seine eigene mass, weitgehend an Unmittelbarkeit und Originalität fehlt. Überall stiess er unentwegt auf Schlagworte, uniforme Satzgebilde und erstarrte Redewendungen. Bald wurde es ihm zur Manie, diese Sprach-Kadaver aufzuspüren, nicht aus 'leichenschänderischen' Gelüsten, sondern aus dem Bedürfnis, ein für allemal die Welt von ihnen zu säubern. So entstand schliesslich eine beachtliche Sammlung von entpersönlichten und normierten Wortfolgen.
Im Bestreben, deren gefährliche Eigenständigkeit zu demonstrieren, sind, neben einer Anzahl noch nicht veröffentlichter Gedichte und Plänen zu einem zweiaktigen Bühnenwerk, 'Die Redensarten' entstanden; drei kurze Szenen, in denen stereotype Sätze mit grossem Geschick aneinandergereiht, typische rationale und emotionale Verhaltensweisen andeuten, ohne jedoch verlässliche Rückschlüsse auf Individuen zuzulassen, die sich ihrer bedienen. Es ist, als ob die Sprache mit sich selbst Konversation triebe. Dass auf diese Weise dann doch Zusammenhänge in der Form von Handlungsrudimenten entstehen, ist nicht allein das Verdienst des Autors. Vielmehr zeigt sich darin, dass der Sprache an sich Logik immanent ist, eine Tatsache, die die Frühromantiker als einen Beweis der Existenz Gottes auffassten, während sie dem zum Skeptiker gewordenen Menschen von heute wenigstens als Kriterium seiner Verschiedenheit von der übrigen organischen Welt gilt.
Werner Schmidli beurteilt 'Die Redensarten' als ein Experiment. Sich selbst will er damit von der Versuchung kurieren, unbedacht zu sprechen. Indem er nachher, wie er hofft, nicht mehr fähig sein wird, andere als ihm gemässe, d.h. lebendige Worte zu gebrauchen. Dem Zuhörer will er bewusst machen, dass der einzelne nichts weniger und nichts mehr ist als die Sprache, die er spricht, und dass es daher um die Menschen nicht zum besten bestellt ist." [r+f 5/69, Guido Wiederkehr]
 
Schliesslich möchte ich auch jene Prosastücke erwähnen, die sich dadurch auszeichnen, dass kein einziger Satz von mir stammt... (...) Die Sätze sind der Umgangssprache entnommen, aus Alltagsvokabular zusammengesetzt. Das einzig Schöpferische und gleichzeitig Schwierigste bestand für mich darin, diese bereits vorhandenen Sätze und Wendungen so zusammenzufügen, dass sich daraus sinnvolle Geschichten ergaben. Nach demselben Muster sind auch einige Fünfminuten-Hörspiele aufgebaut. Das Erschreckende liegt für mich darin, wie man aus Alltagsaussprüchen und Sprachklischees Geschichten herstellen kann." [Bucher/Ammann, Schweizer Schriftsteller im Gespräch, Basel (Reinhardt) 1970/71, S.190]
 
 

Manfred Schwarz
Der Mann des Möglichen (70')
historisches Hörspiel [D&F]
Andreas Fischer, Zürich
16.2.69
69 (DRS-2, 2 Sdg.)
 
r+f 48/66, S.9, Jacob Fischer, Schwarz bei der Tagesschau
r+f 7/69, Manfred Schwarz, Der Mann des Möglichen
NZZ, 21.2.69, zd, "Der Mann des Möglichen" von Manfred Schwarz
 
"Ob ich wisse, wer Adam Zeltner sei, kehrt Schwarz den Spiess um. Er sei überzeugt, ich wisse es nicht. Schwarzens Überzeugung war richtig. Dann erfuhr ich, dass Adam Zeltner ein berühmter Bauernführer war. Ein Solothurner. Als Untervogt hatte er zwischen Bauern und Patriziern zu verhandeln und wurde dann durch Intrigenspiel zum Tode verurteilt. 'Wohl lange her?', suchte ich mein Interesse zu bekunden. '1635!' 'Eben.' - 'Die Diplomatie ist die Kunst der Möglichkeiten', sagt Schwarz. 'Und der Titel des Stückes?' 'Nun, es ist noch nicht fertig geschrieben. Arbeitstitel: 'Der Mann der Möglichkeiten' - für den Titel ist immer noch Zeit genug.' - 'Sicher, aber es sieht so aus, als wären Sie bereits am Inszenieren?..." [r+f 48/66, Jacob Fischer]
 
"Manfred Schwarz gehört schon seit einiger Zeit zu unsern Hausautoren. Sein neues Hörspiel erzählt die Geschichte von Adam Zeltner, dem Führer der Solothurner Bauern im Bauernkrieg von 1653. Zeltner war ein Mann des politisch Möglichen, der, um den Krieg zu vermeiden, einen Ausgleich suchte und gerade dadurch zwischen Stuhl und Bank geriet. Obwohl sich Manfred Schwarz eng an die geschichtlichen Fakten hält - nicht ohne Absicht ersetzt er den herkömmlichen Erzähler durch eine Schweizer Schulklasse - ist 'Der Mann des Möglichen' ein politisches Stück, in dem sich manche Parallele zu unserer Zeit findet." [Pgr 1/69, S.9]
 
"Er hätte es einfacher haben können, bequemer, dieser Adam Zeltner, seines Zeichens solothurnischer Untervogt von Oberbechburg, wohlhabender Grossbauer und Müllereibesitzer im Gäu, Vater von 19 Kindern und Landeshauptmann der Solothurner Bauern. Er hätte sich bloss aus dem Bauernkrieg von 1653 heraushalten müssen, und er hätte ein fröhliches Leben gelebt bis an sein seliges Ende. Statt dessen engagierte er sich, weil er nicht zusehen wollte und konnte, wie andere Dummheiten machen, versuchte er zu vermitteln zwischen Stadt und Land und tat alles, um diesen seiner Meinung nach überflüssigen und unsinnigen Krieg zu verhindern. Sein unseliges Ende verwundert nicht: Als Opfer der Extreme wurde er als erster von einem juristisch fragwürdigen Tagsatzungsgericht zum Tode verurteilt und als erster am 2.Juli 1653 bei Zofingen enthauptet. Das reformierte Bern, zusammen mit dem reformierten Zürich, schlug Adam Zeltner und meinte das katholische Solothurn, das sich an den eigenen Bauern schadlos hielt. Zeltner löffelte die Suppe aus, die sich dumme Bauern und sture Patrizier selber eingebrockt hatten. Seine Politik der Vernunft, des Möglichen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Ist das so neu? Oder anders gefragt: Ist das so alt, vorbei?
Ich habe mich eng an den historischen Stoff gehalten. Die Geschichte ist zu dicht, als dass ich mir 'dichterische Freiheit' hätte herausnehmen müssen. Alle Figuren in diesem Hörspiel sind geschichtlich belegt. Meine Arbeit war es, hinzuhören, was sie gesagt haben könnten, um der Geschichte den Lauf zu geben, den sie genommen hat." [r+f 7/69, Manfred Schwarz]
 
 

Adolf Muschg
Das Kerbelgericht (60')
Prix Suisse 1969 (?) 2 [D&F]
Hans Jedlitschka, Zürich
9.3.69
69 (DRS-2, 2 Sdg.), 74 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
r+f 10/69, Adolf Muschg, Das Kerbelgericht
r+f 39/69, Hans Hausmann, Lebendiges Hörspiel. Vom "Prix Italia" 1969
NZZ, 14.3.69, zd, "Das Kerbelgericht". Hörspiel von Adolf Muschg
 
Wiederholung im Rahmen des 50-Jahr-Jubiläum, 1974
1.Hörspiel von A.Muschg: Wüthrich im Studio / Robert Bichler / Zürich / 4.3.62 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
"'Kerbelgericht' ist das zweite Hörspiel des erfolgreichen Schweizer Schriftstellers Adolf Muschg. Er setzt sich darin mit den Problemen der Jugend und den durch sie ausgelösten Problemen der Erwachsenen auseinander. Zu diesem Zweck bedient er sich nicht etwa der Mittel einer provozierenden Analyse, sondern einer beinahe lyrisch anmutenden Form. Die abgehandelten Ereignisse werden aus der Perspektive eines alten Mannes nachgezeichnet, der als zufälliges Opfer jugendlicher Manifestanten im Spital liegt und in seiner unfreiwilligen Passivität die nötige Bereitschaft zum Verständnis der Jugend gewinnt. Wenn sich die Jugend in diesem Stück weniger verständnisvoll zeigt als ihr Opfer, ist das nicht als Vorwurf an sie gemeint. Vielmehr wird deutlich, dass der alte Mann auf eine Hilfe zählen kann, die der Jugend abgeht: für ihn hat ein langes Leben bereits viele Probleme von selbst gelöst." [Pgr 1/69, S.12]
 
"In den Hauptrollen: Heinrich Gretler, Peter Brogle und René Scheibli.
Diese Produktion aus dem Jahre 1969 bezieht sich auf Ereignisse in Zürich im Jahre 1968. Adolf Muschg hat das Hörspiel im Amerika geschrieben." [Pgr 3/74, S.20]
 
"Das Hörspiel spiegelt das Dilemma, in dem ich mich, im Ausland lebend, den 'Zürcher Ereignissen' vom vergangenen Juni und Juli gegenüber befand. Äusslich war meine Einmischung komisch, sozusagen geographisch und massstäblich ein Witz. Ich lebte schliesslich in Ithaca (New York), im amerikanischen Jahr 1968, das den TV-Kommentatoren Gelegenheit gegeben hatte, sich in der Präsentation von Staatsbegräbnissen zu üben. Im Juni war, wenn man sich nichts vormachte, schon so gut wie an den 'Conventions' abzusehen, wie der Hase laufen würde, auch wenn das Szenario im einzelnen noch nicht feststand und in Chicago noch etwas ohnmächtiges Feuerwerk stieg. Träumen von McCarthy war damals schon (denn die gedrückten Minderheiten träumten nicht mit) als Luxus erkennbar, ein 'exercise in futility', das ebenso verbittert wie gratis betrieben werden konnte. Schliesslich flog alles miteinander im faulen Zauber der Nixon-Wahl auf (den sportlichen Reiz, den sie in den letzten Stunden bot, machte man widerwillig mit wie ein von der Mafia inszeniertes Pferderennen), und es war am Ende alles so gut oder so schlecht, als wäre nie etwas gewesen und Robert Kennedy ein Opfer des Hornberger Schiessen.
Lärm bei uns? Immerhin: Anlass genug, sollte man meinen, ein paar an Bahnhofbrücke und Bellevue zerbrochene Flaschen nicht zur Weltgeschichte zu rechnen. Aber da begann sich bei mir eine chemische Reaktion einzustellen, die bei Exilschweizern anders zu verlaufen scheint als bei andern Landesflüchtigen: Die Entfernung hob die Distanz auf; je weiter vom Geschütz, desto deutlicher sein Donner. Man kann es einen Angstreflex nennen - Angst nicht vor, sondern Angst um; um das Ausnahmeländchen, um die Fata Morgana seiner immerwährenden Intaktheit, die einem die eigene Abwesenheit vorspiegelt. Denn der Heimwehpatriotismus weiss gegen besseres Wissen: Weltgeschichte findet natürlich bei den andern statt, das versteht sich von selbst. Aber bei uns? Lärm bei uns? Das wäre ja unerhört und abenteuerlich, da musste man, Amerika hin oder her, zum Rechten sehen.
Ich schrieb also einen Artikel für eine Schweizer Wochenzeitung, mit dem ich schon in der Maschine äusserst unzufrieden war. Die staatsmännischen Töne, die da mitklapperten, waren mir peinlich. Unerträglich die Aussicht, dass man mir Wörter, die Ausdruck einer Verlegenheit waren, als 'Stellungnahmen' auslegen konnte, womöglich als 'Stimme aus Distanz' - ich habe schon gesagt, wie es darum stand. Ein linker Reflex, den man in den USA mühelos einübt, gebot mir natürlich, mich mit den amtlich Geprügelten gegen die Knüppel zu identifizieren. Wohin es führte, wenn man den Anfängen nicht wehrte - freilich anders, als es die 'NZZ' im Sinn hatte -, konnte ich in meinem Gastland und anderswo erleben. Wenn ich doch nur reserviert mitdemonstrierte, so, weil mir Zweifel kamen, ob meine Identifikation mir anstand, ob sie den Demonstranten willkommen gewesen wäre. Konkret:
Was hätte ich im Juni in Zürich getan? Mich eingesetzt, Haare gelassen, ein Risiko gelaufen? In den fünfziger Jahren, als ich 'dran' gewesen war, hatte ich nichts dergleichen getan. Freilich, die Situation kam nicht auf, das gehörte zum Krankheitsbild der 'stillen Generation'. Ich war unter vielen Leisetretern brav gewesen, reif um einen Preis, den ich nicht hatte zu bezahlen brauchen. Hatte ich ein Recht, diejenigen, die ihn heute zahlten, mit meinem Nachholbedarf zu kompromittieren? Ich kam mir unter der Hand als Anbiederer vor, als eine Art von spät-linkem Sugar-Daddy. Er tut's nicht, aber er rühmt's - wie unappetitlich. Sympathie, die umgebogener Neid ist, gehört sich nicht. Gehörten sich aber die Schuldgefühle, auf denen ich sitzenblieb? Meine Generation hat zu viele Schuldgefühle an- und auswendiggelernt - in ihnen lauert die nicht geringere Öde intellektueller Koketterie. Der ganze Komplex - mein eigener - musste einmal durchgekämmt werden. So entstand die Hauptfigur meines Hörspiels, der ehemalige Gerichtsberichterstatter Ehrismann mit dem Schenkelhalsbruch. Ich habe ihn stark gealtert. So erlaubte er mir, laut zu sagen, was ich gelegentlich leise denke: dass unsereins nur mit dem schlechten Gewissen ein Linker, von Geschmack ein Konservativer ist, dass meine Gewohnheiten im Milieu der Herrschaften erzogen sind, mit denen die Rebellen aufräumen wollen. Wenn sie - mit meinem Segen - damit fertig sind, wird mein Segen nichts mehr bedeuten.
Generationengraben Aber junge Leute rebellieren nicht, damit ältere ihr Verständnis an ihnen erproben. Darum steht dem Berichterstatter der junge Tobler gegenüber. Zwar ist Tobler schwer krank und darum handicapiert. Aber das ist nicht symbolisch gemeint und soll Ehrismann keinen Vorteil bringen. Im Gegenteil: Selbst der Tod, dieser metaphysische Erpresser und bewährte Zerstäuber von 'Tagesfragen', macht die beiden Kontrahenten nicht gleich und stiftet keine Gnadenfrist zwischen ihnen. Das Grab, über das hinweg Tobler dem Berichterstatter weiter auf den Zahn fühlt, ist der verlängerte Generationengraben - ernst und bitter genug, da sich der Tod in der Reihenfolge vergriffen hat, aber doch eine Episode; das wichtigere Geschäft des Lebens, eines von Krämpfen befreiten Lebens, muss weitergehen. Denn das, wofür Tobler steht (auf ideologischen Bleifüsschen, etwas zu aufrecht, ein tapferer Zinnsoldat), ist mit Toleranz nicht abzufinden und mit der Friedenspalme nicht fortzuwedeln: Es muss eingelöst werden.
Der Urhippie Bär der sich in das Hörspiel eingeschlichen hat, stammt aus einer andern Schublade und sollte einmal eine eigene Erzählung bestreiten. Was mir vorschwebte: Ein junger Mann hält einem Auto, in aller Freundlichkeit, den Daumen entgegen und wird nicht mitgenommen. Ein alltägliches Vorkommnis. Aber hier sollte es - durch einen Kurzschluss im Kopf des jungen Mannes - die Dimensionen eines moralischen Ungeheuers annehmen: Da fährt ein Biedermann, ohne Gründe zu nennen, an einem vorbei, der etwas von ihm braucht. Der junge Mann, um Proportionen unbekümmert, stellt eine Jagd auf den Fehlbaren an und bringt ihn buchstäblich zur Strecke. Das Kohlhaasische an dem Entwurf sollte sein, dass der 'Rächer' die Zufälligkeit des 'Täters' nicht als mildernden Umstand gelten lässt; gerade die statistische Wahrscheinlichkeit des Falles macht ihn zum Kapitalfall, der Automobilist muss als Sündenbock für die 'gebrechliche Einrichtung der Welt' herhalten.
Damit die Geschichte für meine Hörspielpartner zum Exempel werden konnte, musste sie nochmals umgedreht werden. Moralisch absurd - bis zur Zeitnähe - wurde sie erst, wenn der Automobilist sein gutes Recht, an jedem Beliebigen vorbeizufahren, notfalls - und wie bald ist die Not da - mit der Waffe in der Hand verteidigte. So soll es sich in der Berichtpraxis Ehrismanns vor Jahren einmal abgespielt haben, und das Hörspiel zitiert die Stimmen jenes gerichtlichen Kuriosums herbei. Es ist das 'Kerbelgericht', über das Ehrismann seinerzeit nicht berichtet hat. Jetzt muss er es revidieren oder schlichter: auslöffeln. Im Bild jenes Prozesses haben sich die Wege getrennt, auf denen Ehrismann und Tobler heute nicht mehr zusammenkommen. Dort hat sich der Karren verfahren, so weit, dass jetzt kein 'schonendes Anhalten' mehr hilft.
Keine Schonkost In Ehrismann hat sich der Autor, so gut er's versteht, nichts geschenkt. Ich lasse ihn im Fett schmoren, das ihm die Krankenschwester am Ende auftischt: Gibt es viel Beschämenderes für einen Mann guten Willens, als nach dem Tod des Jüngeren zur Fütterung gepfiffen zu werden und womöglich Appetit zu haben? Es soll hier nicht nach Schonkost riechen, sondern durchaus nach Menschenfleisch.
Obwohl der Sprachgebrauch unsereins jahrzehntelang als 'junge Schweizer Schriftsteller' mitschleppt, fühle ich mich alt genug, um zu einer schuldigen Generation zu gehören. Schuldig durch das, was wir nicht taten. Nochmals schuldig durch die Praxis, Versäumnisse zu Hörspielen wie dem 'Kerbelgericht' aufzuarbeiten." [r+f 10/69, Adolf Muschg / Nachwort zur Buchausgabe, Zürich (Arche) 1969, S.49-54]
 
Peter Brogle: "Ganz abgesehen davon, dass das 'Kerbelgericht' ein Thema aufgreift, das heute hochaktuell ist, hat mich die Form des Hörspiels und Adolf Muschgs so persönlich eigenwilliges Sprachgefühl sehr fasziniert." [r+f 10/69, Bildlegende]
 
Über die Ausscheidung zum Prix Italia 1969:
"Unser eigener Hörspiel-Beitrag, 'Das Kerbelgericht' von Adolf Muschg, figurierte sehr ehrenvoll bis zur letzten Abstimmungsrunde unter den ersten fünf Werken." [r+f 39/69, Hans Hausmann]
 
Georges Ammann: "Sie haben seinerzeit von Amerika aus in einem Aufsatz in der Weltwoche zu den Ereignissen in Zürich Stellung bezogen. Wie war das aus dieser Distanz überhaupt möglich?"
Adolf Muschg: "Es war nicht möglich. Ich reagierte auf Reaktionen: diejenigen der Schweizer Presse, die sich als 'meinungsbildend' versteht und ihre Spalten einer Pogromstimmung öffnete, die unabhängig vom Anlass, neurotisch, also gefährlich war, weil sie auf unbewältigte Gegenwart deutete und das Bedürfnis, schwierige Zusammenhänge übers Knie zu brechen. Damit ist buchstäblich kein Staat zu machen. Mir liegt daran, dass mein Land auch emotionell konkurrenzfähig bleibt." [Bucher/Ammann, Schweizer Schriftsteller im Gespräch, Basel (Reinhardt) 1970/71, S.157]
 
"Beispielhaft ist vor allem das Hörspiel 'Das Kerbelgericht' (1969) von Adolf Muschg (*1934), das sich ja auf den Zürcher Globuskravall von 1968 bezieht, aber nicht auf dokumentarische Art, und das nicht die Prominenten vor die Gerichtsschranken lädt, sondern einen im wahrsten Sinne Irrelevanten, den Gerichtsjournalisten Ehrismann, sich selber den Prozess machen lässt." [Kindler 1974, S.370, Elsbeth Pulver]
 
 

Alfred Bruggmann
Pompadour oder Glanz und Elend einer Zeitschrift für Damen (52')
Typoskript bei SLA, Bern
Dialekt Komödie 1 [D&F]
Bruno Felix, Zürich
2.6.69
69 (DRS-1, 2 Sdg.), 71 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
r+f 21/69, René Auer, "Ich wechsle meine Berufe wirklich oft". Besuch bei Alfred Bruggmann
 
"Zwei kleine Gauner beschliessen am Tag ihrer Entlassung aus dem Gefängnis, am Tag des Frühlingsanfangs übrigens, mit möglichst wenig ehrlicher Arbeit möglichst viel Geld zu verdienen. Sie entwickeln zu diesem Zweck ein völlig neues Verfahren der Abonnentenwerbung für eine Frauenzeitschrift, ein Verfahren, das zwar juristisch sicher nicht in Ordnung, dafür aber erfolgreich ist. Um die Aufdeckung ihrer Praktiken zu verhindern, werden die beiden den ganzen Sommer über zu Arbeitsleistungen gezwungen, die ihrer ursprünglichen Absicht durchaus zuwiderlaufen.
Der Autor dieses Dialekt-Hörspiels, Alfred Bruggmann, ist sicher eine der vielseitigsten und eigenständigsten Begabungen des Schweizer Theaters und Kabaretts.
Die Hauptrollen werden von Paul Bühlmann, Kurt Bigger, Trudi Roth, Walo Lüönd und René Scheibli interpretiert." [Pgr 2/69, S.7]



Paul Schenk
Der Letzte. Ein Stück aus den Bergen (51')
eingereicht zum Radio-Wettbewerb für Mundarthörspiele 1966/67 [L+L]
Hans Gaugler, Bern
4.6.69
69 (DRS-1, 1 Sdg.), 71 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
r+f 19/66, S.7, --, Gesucht: Mundart-Hörspiele [Wettbewerbsausschreibung]
r+f 26/67, S.17, --, Die Gewinner im Radio-Wettbewerb für Mundarthörspiele
r+f 4/68, S.5, Hans Rudolf Hubler, Steine des Anstosses. Gedanken zu einem Wettbewerb
 
 

Li Gebert
Staub auf der Insel (35')
Hörspiel-Erstling [D&F]
Joseph Scheidegger, Basel
9.6.69
69 (DRS-1, 2 Sdg.)
 
NZZ, 16.6.69, zd, "Staub auf der Insel" von Li Gebert
 
"Die als Kinderbuchautorin bekannte Li Gebert begibt sich mit ihrem ersten Hörspiel in eine der modernen Zivilisation entrückte, beinahe traumhaft wirkende Welt. In diese dringt, ganz unfreiwillig, eine führende Persönlichkeit der 'Vergnügungs- und Ferienindustrie' ein. Anstatt die Gelegenheit, sich selbst wiederzufinden, zu nützen, bezieht der geschäftstüchtige Herr die Insel, auf der er notlanden musste, sofort in seine lukrativen Projekte ein: aber diesmal erweist sich das Elementare stärker als er und vernichtet ihn." [Pgr 2/69, S.8]
 
 

Max Rüeger
Zum 70.Geburtstag von Schaggi Streuli: Dorffest in Allenwil oder Polizist Wäckerlis schwierigster Fall. Ein feierlicher Schwank (60')
Dialekt Komödie
Max Rüeger, Zürich
4.7.69
69 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
r+f 26/69, M.R., Dorffest in Allenwil oder Polizist Wäckerlis schwierigster Fall
 
"Zehntausende freuen sich mit. Kaum eine Schreibtischfigur hat die Popularität des allgewaltigen, freundlichen, barschen, gutherzigen, goldenen, humorigen usw. usw. Dorfpolizist Gottfried Wäckerli erreicht - und ihr Schöpfer, Schaggi Streuli, bleibt für unzählige eben immer dieser Wäckerli.
Trotz des Landarztes Hilfiker, trotz des Taxichauffeurs Bänz, trotz des Heiri Aeppli und anderer volkstümlicher Typen, die Streuli im Laufe der Jahrzehnte erfand und verkörperte. Im Radio, am Fernsehen, im Film.
Als die Polizist-Wäckerli-Serien am Radio zu hören waren, erreichten sie denselben Effekt wie heute Durbridge-Krimis am Bildschirm: Strassen, Beizen, Kinos, Theater blieben leer, man sass zu Hause - und alle waren wir Allenwiler. [...]" [r+f 26/69, M.R.]
 
 

Robert Messerli
Zwüsche Chrüüz und Güggel (6 Folgen)
(41' / 41' / 36' / 38' / 43' / 50' // total 249' )
Dialekt Hörspielfolge Musik: Emil Moser [L+L]
Ulrich Studer, Basel
5.9.69 / 12.9.69 / 19.9.69 / 26.9.69 / 3.10.69 / 10.10.69
69 (DRS-1, 6 x 1 Sdg.), 80 (DRS-1, 6 x 1 Sdg.)

r+f 35/69, René Auer, "Zwüsche Chrüüz und Güggel..."
 
"'Zwüsche Chrüüz und Güggel', d.h. zwischen dem katholischen und dem protestantischen Kirchturm von Allenfeld spielt die neue, sechsteilige Dialekthörfolge des Schweizer Radios.
Das Kreuz vertritt Heinrich Gretler als alter, knorrig-kauziger, aber erfrischend unorthodoxer katholischer Pfarrer. Er ist umgeben von einem übereifrigen Vikar (René Scheibli) und einer erzkatholischen Köchin (Trudi Roth). Seine Gegenspieler sind der frischgebackene protestantische Pfarrherr (Robert Bichler) und dessen resolute Mutter (Ellen Widmann).
Wer nun einen dörflichen Religionskrieg oder gar eine üble Radiopolemik erwartet, irrt sich, obwohl der Autor dieser unterhaltenden Mundartsendung, Robert Messerli, offen zugibt, dass seine Sympathien vorwiegend beim 'Güggel' liegen - allerdings bei dem, der im 'Sternen' vom Wirteehepaar C.F.Vaucher/Margrit Rainer gebraten wird. Auch wer bei der oben angeführten Ausgangslage 'Don Camillo und Peppone' assoziiert, geht fehl, beteuert Messerli, 'denn es ist ja gar kein Kommunist dabei'.
Robert Messerli, Schauspieler am Basler Theater, beliebter Conférencier und legendärer Hobbykoch (Werner Düggelin soll ihm eine Hauptrolle in der Kantine des Theaterneubaues angeboten haben), hat auf Drängen von Ulrich Studer, dem Leiter der gesprochenen Unterhaltung am Radio, einer 'Starbesetzung von A bis Z' die Rollen in den Mund geschrieben und geistliche wie weltliche Charaktere so liebenswert geschildert, dass das religiöse Empfinden nie gestört wird. 'Keine einzige Szene spielt in einer der beiden Kirchen', versichert er, überzeugt davon, 'dass es keine schlechten Religionen gibt, nur schlechte Menschen'.
Autor Messerli und Regisseur Studer wollten mit 'Chrüüz und Güggel' keine Literatur machen, sondern eine unterhaltende Alltagsgeschichte aus der Schweiz erfinden, in welcher Lachen und Weinen, Gut und Böse sorgsam abgewogen und 'ausbalanciert' wurden, ohne dass ein farbloser Einheitsbrei entstand.
Die Tatsache, dass 'alle Mitwirkenden vom Stück, von den Aufnahmen und voneinander restlos begeistert waren', stimmt den theatererfahrenen Autor allerdings 'irrsinnig misstrauisch'.
Ulrich Studer hat andere Sorgen. Er erfuhr während unseres Gespräches, dass Robert Messerli als 16jähriger einen Roman in ein schwarzes Wachstuchheft geschrieben hatte (Titel: 'Ich war nie jung') und dieses zwei Jahre später verbrannte. Einem noch unveröffentlichten Hörspiel, das in einer Schublade vergilbt, droht das gleiche Schicksal - dabei sind gute Autoren so rar! Und wenn er daran denkt, dass die fröhlich-besinnliche Dialekthörfolge 'Zwischen Chrüüz und Güggel' beinahe nicht zustande gekommen wäre, weil Messerli bei der Niederschrift des ersten Teiles während seiner Ferien in Nordafrika nur mit Müh und Not das nötige Papier fand, dann überfallen ihn trotz des heissen Sommerwetters kalte Schauer." [r+f 35/69, René Auer]
 
"Was bisher geschah:
In der kleinen Gemeinde Allenfeld ist die Welt nicht mehr in Ordnung, 'Chrüüz' und 'Güggel', das heisst katholisches und protestantisches Pfarramt haben beide grosse Probleme: der protestantische Pfarrer Redli, weil er als Junggeselle mit der Wirtetochter Hanny liebäugelt, der katholische Pfarrer Gröber, weil ihm während einer Messe sämtliche selbstgezüchteten Williams-Birnen vom Baum gestohlen werden. Zum offenen Konflikt kommt es allerdings erst, als der übereifrige Vikar Kramer die 'andern', die Protestanten dieser Tat verdächtigt, besonders den Wirtesohn Peter. Peter wird daher von seinen katholischen Mitschülern so lange mit 'Bire-Schelm' gehänselt, bis er einen verhaut und dieser so unglücklich hinfällt, dass er in Spitalpflege gebracht werden muss. Anderntags aber klebt am Schaufenster von Frau Hürzelers Spezereiladen ein Plakat 'Aktion: 1a Williams-Birnen'. Ob Polizist Löliger die Täter wohl ausfindig machen kann?" [Pgr 1/80, S.10]
 
"Dem Schüler Hans Fischer, der in einem Streit mit Peter Matter dumm hingefallen ist, geht es schlechter, so dass er in Zürich operiert werden muss, ganz Allenfeld macht sich Sorgen um ihn. Weniger wichtige Ereignisse scheinen gewisse Allenfelder aber noch mehr zu beschäftigen, nämlich z.B. Direktor Lindauer's Verhältnis mit seiner Sekretärin, oder die Ankunft Pfarrer Riedli's neuer ungarischer Haushälterin. Die Stimmung im 'glaubensgespaltenen' Allenfeld spitzt sich zu. Ob die beiden 'Chrüüz' und 'Güggel' Vertreter wohl das richtige Gegenmittel finden?" [Pgr 1/80, S.11]
 
"Der Allenfelder 'Dorftratsch' hat neue Nahrung erhalten. Seit im protestantischen Pfarrhaus eine ungarische Köchin waltet, gehen Pfarrer Redli und seine Mutter nicht mehr in den 'Sternen' essen, dafür sieht man nun häufiger Lehrer Bammert dort 'dinieren'... Neue Schwierigkeiten auch für den übereifrigen Vikar Kramer: wie soll er sich verhalten bei der Taufanmeldung eines Ehepaares, das erst vor drei Monaten 'zemegeh' worden ist?
Die einzigen, die wirkliche Schwierigkeiten haben, sind Anneli Lindauer, deren Eltern sich scheiden lassen wollen, und Peter Matter, da der von ihm verhauene Mitschüler noch immer im Spital liegt. Es scheint, dass Kummer und Sorgen die zwei Schüler zusammenführen." [Pgr 1/80, S.12]
 
"Es scheint, dass der katholische Vikar Kramer geradezu prädestiniert ist, Unruhe zu stiften in Allenfeld, denn wegen eines von der Ehefrau abgelegten Gelübdes versetzt er auch die Arztfamilie Duvoisin in Schwierigkeiten. Einen Erfolg kann endlich Polizist Löliger verzeichnen, er überführt den Williams-Birnen-Dieb der Tat. Kummer und Sorge sind vor allem im 'Sternen' eingekehrt. Die Besitzerin, Tante Agathe ist gestorben, und niemand weiss, wie es um die Erbschaft steht, eine bange Frage nicht zuletzt deshalb, weil ein 'Gumfitüre-Glas voll Vreneli' unauffindbar ist.
Ob die beiden Dorfgeistlichen, der protestantische Pfarrer Redli und sein katholischer Amtsbruder Gröber, diesbezügliche und andere Schwierigkeiten anlässlich einer 'ökumenischen Weinprobe' klären können?" [Pgr 1/80, S.13]
 
"Polizist Löliger tappt immer noch im Dunkeln betreffs 'Gumfi-Glas volle Vreneli', dafür weiss man aber, wer den 'Sternen' geerbt hat, nämlich der Wirtesohn Peter, und so kommt es, dass er sozusagen als Gasthausbesitzer ein Festmahl gibt, nachdem der von ihm verhauene Hans Fischer endlich aus dem Spital entlassen wird.
Erfreuliches aber auch in den Pfarrhäusern: um seine 'Diebesschuld' zu tilgen, schenkt Garagist Mettler dem katholischen Pfarrer Gröber einen Occasionswagen, nachdem der alte den Geist aufgegeben hat, und im protestantischen Pfarrhaus bahnt sich eine Ehe an, denn Pfarrer Redli hat Hanny um ihre Hand gebeten.
Unklar ist jetzt nur noch, warum eine Studiumskollegin von Pfarrer Redli plötzlich wieder abreist, und wo das verflixte 'Gumfiglas volle Vreneli' geblieben ist..." [Pgr 1/80, S.14]



Klaus W. Leonhard
Südlich von Ibiza oder Vielleicht, weil wir uns verlaufen haben (52’)
Klaus W. Leonhard
Bern, 15.9.69
69 (DRS-1, 2 Sdg,); 93 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
 

Arnold H. Schwengeler
Der weisse Kranich (34')
Musik: Klaus Sonnenburg
Urs Helmensdorfer, Bern
22.9.69
69 (DRS-1, 2 Sdg.)
 
r+f 38/69, O.B., Der weisse Kranich
 
"Der Autor nennt sein neues Spiel eine 'schottische Ballade'. Mit leichter Hand verbindet er Elemente des Krimis und der Gespenstergeschichte mit solchen der Idylle und mischte sie mit dem Wissen um Literturgeschichte und Ästhetik zu einem unterhaltsamen Ganzen, in dem Ernst und Ironie unmerklich ineinander übergehen. Und der Hörer fragt sich am Schluss: Sind die Verse des Weissen Kranich, eines Zeitgenossen Shakespeares, nun echt oder Fiktion? So wird die Ballade zum literarischen Rätselspiel." [Pgr 3/69, S.5]
 
"Der Untertitel dieses heiteren Spiels mit makabrem Einschlag, 'Eine schottische Ballade', weist darauf hin, dass es sich dabei um die szenische Bearbeitung eines der Sage verhafteten epischen Stoffes mit stark dramatischem Akzent handelt. Der Autor, Arnold H. Schwengeler, hat sich mit der Lust des berufenen Gestalters der balladesken Vorlage angenommen und sie mit Hilfe origineller Mittel vom ausgehenden 16. und eingehenden 17.Jahrhundert in unsere Zeit herüber travestiert, ohne dass dabei der ursprüngliche Kitzel der alten Schlossromantik und der Spannungsreiz verlorengehen. Er schreibt dazu: 'Der Schauplatz der Ballade, die sich gestern, heute oder morgen begibt, ist die Halle des bekannten Schlosses von Glenmoor (Glenmoor Castle) im Norden Schottlands.' Was sich hier zuträgt und innerhalb eines Abends, einer Nacht und des darauffolgenden Morgens in gedrängter Folge abspielt, eine tragikomische Liebesgeschichte mit kriminellem Hintergrund, verbindet auf amüsante Weise Vergangenheit mit Gegenwart, gespenstische Fiktion und Wirklichkeit, ohne dass dadurch eine Kluft entstehe oder der organisch gebundene Handlungsablauf in seiner dynamischen Zuspitzung gestört würde. Das Zusammenspiel der anfänglich getrennt agierenden und dennoch einheitlich zielstrebigen Kräfte kommt auf drei technisch klug errichteten Ebenen zum Ausdruck, die das Ganze ergeben, derjenigen der drei Bilder an der Wand, derjenigen der persönlich in Erscheinung tretenden Erzähler und derjenigen der den Handel unmittelbar bestreitenden Personen. Das verleiht dem Gesamtablauf eine aparte, plastisch erhöhte Wirkungsmöglichkeit. Die Fabel selbst ist klar und einfach: Die am Schlossherren vor Jahrhunderten durch seinen Freund, den Dichter Maclean, der 'weisse Kranich' genannt, aus Liebe zur Gattin des Freundes begangene Mordtat muss gesühnt werden, bevor die Toten Ruhe in den Gräbern finden, und das kann nur geschehen, wenn einmal, in direktem Zusammenhang mit dieser unglückseligen Dreiecksliebe, nach einer Art Hexeneinmaleins eine Vierecksliebe wird, d.h. zwei Liebespaare sich finden oder, wie die untreue Gattin sich ausdrückt: 'Die blutige Ballade von einst, die wir gespielt, muss nun zur heiteren Romanze werden!'
Sie wird es tatsächlich, und nach ergötzlichen, psychologisch fein gesponnenen Verwicklungen löst sich der meisterlich angelegte Handel in Minne auf, und durch den Sieg der grossen, reinen Liebe wird der 'weisse Kranich' endlich frei. Die Köstlichkeit des Zaubers, der dem Stück eigen ist, wird aber dem Hörer erst dann offenbar, wenn er dem Spiel von Anfang an aufmerksam beiwohnt und die eigentliche reizend herauskristallisierte Pointe, die wir hier nicht preisgeben wollen, selber wahrnimmt, d.h. den subtilen Übergang vom Bild zum Sinnbild bewusst beobachtet. Denn wir wissen ja: 'Alles Vergängliche / ist nur ein Gleichnis... Das Ewig Weibliche / Zieht uns hinan.'" [r+f 38/69, O.B.]
 
 

Fritz Gafner
Für ein Pfarrhaus nicht sehr geeignet (36')
Musik: Emil Moser 2 [D&F]
Bruno Felix, Zürich
12.10.69
69 (DRS-2, 2 Sdg.), 70 (BR, 1 Sdg.), 71 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
NZZ, 18.10.69, zd, "Für ein Pfarrhaus nicht sehr geeignet"
r+f 41/69, René Auer, Gott ist Poesie. Zum Hörspiel "Für ein Pfarrhaus nicht sehr geeignet" von Fritz Gafner
 
"Das zweite Hörspiel des Lyrikers Fritz Gafner setzt sich mit der Stellung des Pfarrers in der modernen Gesellschaft auseinander. Hat ein Geistlicher, der sein Amt in der traditionellen Art ausübt, überhaupt noch eine Chance, mit seiner Gemeinde zu einem echten, lebendigen Kontakt zu kommen? Hat die Gemeinde ihrerseits nicht eine so festgelegte Vorstellung von der Institution Kirche und ihren Vertretern, dass die Worte des Pfarrers nur noch an dieser Vorstellung und gar nicht mehr an ihrem tatsächlichen Sinngehalt gemessen werden?
Joseph Scheidegger und Anneliese Betschart sprechen die Hauptrollen." [Pgr 3/69, S.8]
 
"Als ich mich nach dem Autor des Hörspiels 'Für ein Pfarrhaus nicht sehr geeignet' erkundigte, erfuhr ich, dass Fritz Gafner (39) Pfarrer an der Stadtkirche zu Winterthur sei. Das ist, bei diesem Titel, nicht sehr überraschend. Erstaunter war ich, als ich bei meinem Besuch in Winterthur im grossen hellen Pfarrhaus den Turnlehrer aus meiner Mittelschulzeit vorfand.
Bei einem Glas Wein erklärte mir Fritz Gafner, wie es kam, dass er Schlagball und Notenbüchlein mit Talar und Bibel vertauschte:
Er war während 10 Jahren Sekundarlehrer mathematisch-naturwissenschaftlicher Richtung und gab als solcher auch ein paar Stunden Turnunterricht. Als er mit der Absicht, einige seiner Gedichte zu veröffentlichen (er ist seit frühester Jugend begeisterter Gedichteverfasser), sich mit diesen ernsthaft auseinanderzusetzen begann, hatte er das Gefühl, zuwenig zu wissen, und der Wunsch, seine Bildung zu vertiefen. So entschloss er sich zum Theologiestudium - nicht eigentlich um Pfarrer zu werden, sondern um die Theologie kennenzulernen, von der er als Naturwissenschafter gar nichts wusste. Die Theologie packte ihn; innert kürzester Zeit schloss er sein Studium ab und wurde Assistent am Institut für Hermeneutik (Kunst und Verfahren der Auslegung und Erklärung eines Textes) an der Universität Zürich, und bald darauf wählte man ihn in Winterthur zum Pfarrer. Er zog mit seiner Familie in den wunderbaren, 1771 erbauten Rokoko-Landsitz 'Zur Pflanzschule', der als Pfarrhaus dient. Der künstlerischen Tradition dieses Wohnsitzes, in welchem Carl Spitteler bei seiner Tante wundersame Ferien verbrachte und Josef Victor Widmann mit Johannes Brahms zusammentraf, schloss er sich mit der Herausgabe des Lyrik-Bändchens 'Jetzt' (siehe auch 'Tagebuch mit Büchern', r+f 7/69) und mit bisher zwei Hörspielen an.
Ausgespielte Rolle Fritz Gafner hat sich von Anfang an sehr kritisch mit der Stellung des Pfarrers in der modernen Gesellschaft auseinandergesetzt:
Hat ein Geistlicher, der sein Amt in der traditionellen Art ausübt, überhaupt noch eine Chance, mit seiner Gemeinde zu einem echten, lebendigen Kontakt zu kommen? Hat die Gemeinde ihrerseits nicht eine so festgelegte Vorstellung der Institution Kirche und ihrer Vertreter, dass die Worte des Pfarrers nur noch an dieser Vorstellung und gar nicht mehr an ihrem tatsächlichen Sinngehalt gemessen werden? - Das sind die Fragen, mit denen er sich nicht nur im Hörspiel auseinandersetzt. Er meint dazu: 'Vom ersten Augenblick an erlebte ich, dass ich in einem Pfarrerbild gefangen war, aus dem ich ausbrechen musste. Die Rolle, die dem Pfarrer zugedacht wird - 'Zeremonienmeister einer Minderheit' wurde sie einmal schlagwortartig umschrieben -, diese Rolle, meine ich, hat ausgespielt.
Der heutige Pfarrer soll mit seiner theologischen Bildung Gesprächspartner bei der Wahrheitsfindung sein. Das kann er am besten als Lehrer in der Schule und in grösserem Rahmen mit Hilfe der Massenmedien Radio und Fernsehen: Hier als Teilhaber an einer christlichen Meinungsbildung. Das sollte letzten Endes dazu führen, dass der Mensch zu sich findet; dann findet er auch Gott. - Sich finden und Gott finden, das ist wahrscheinlich untrennbar voneinander - das ist vielleicht dasselbe.'
Das Wort Das einzige Werkzeug, das Fritz Gafner bei diesem Vorhaben zur Verfügung steht, ist das Wort, die Sprache. Nicht von ungefähr bezeichnet ihn Karl Fehr als einen Poeten, dem das Wort zugleich fraglich, rätselhaft und ein unfassbares Geheimnis geworden ist. 'Die Aussagen der Bibel betrachte ich als Sprachhilfen zur Formulierung heutiger Probleme', sagt Gafner, dessen drittes Hörspiel 'Gott ist Poesie' heissen wird, und fährt liebenswürdig drohend fort: 'Am Anfang war das Wort, das Wort war bei Gott und Gott war das Wort - daran lasse ich mir nicht rütteln!'
Gottesbild Dafür rüttelt er am Wort 'Gottesbild', als ich ihn danach frage: 'Ich betrachte das Wort als verfehlt. Es gibt kein Bild von Gott. Ganz einfach gesagt: Ich glaube, dass man heute mit Hilfe der Vokabel 'Gott' sinnvolle Sätze machen kann, obwohl dieses Wort 'Gott' nach meiner Meinung nur in einem Zusammenhang drin Sinn bekommt, z.B. im Satz: 'Gott steht auf der Seite der Unterdrückten'; löst man es aus dem Zusammenhang, hat es keinen Sinn. Ein Gottesbild habe ich nicht, aber ich glaube, dass man mit Hilfe des Wortes 'Gott' den Menschen und seine Welt formulieren kann.'
Kein Funktionär des Himmels 'Zur Pflanzschule', die zum ehrwürdigen Baudenkmal geworden ist und die zum Pfarrhaus mit verschiedenen Räumen für kirchliche Aufgaben restauriert wurde, gehört auch ein Beat-Keller. Er soll nicht die Aufgabe habe, die Jungen ins Pfarrhaus zu locken: 'Wenn die Jugend sich in diesem Keller bewegt und Musik macht und eventuell hier sogar Freundschaften entstehen, so ist das Kirche. Wer kann Kirche und Welt unterscheiden? Wahrscheinlich findet heute die Kirche ausserhalb der 'Kirche' statt - in der Welt. Deshalb müssen wir die Türe endlich öffnen. Ich glaube kaum, dass die jungen Leute, die hierher kommen, das Gefühl haben, sie seien durch Beat-Musik geködert und ich sei ein Funktionär des Himmels.'
Lyriker Als Funktionär will Fritz Gafner nicht gelten, und auch als Herr Pfarrer lässt er sich nur sehr ungern ansprechen. Am meisten Freude hat er, wenn man ihm sagt, er sei ein Lyriker...
'Das Lyrische ist für mich fast eine Lebensnotwendigkeit - solange ich Formulierungen finden darf, die mich begeistern, so lange darf ich getrost leben!'" [r+f 41/69, René Auer]
 
 

Jakob Stebler
Bett-Skandal (23')
Dialekt Berndeutsch Dialektbearbeitung: Rudolf Stalder Kurzhörspiel [L+L]
Rudolf Stalder, Bern
22.10.69
69 (DRS-1, 1 Sdg.), 71 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
Wiederholung zusammen mit J.Steblers Kurzhörspiel "Miss Yurop" gesendet
 
 

Walter Vogt
Vier Dialoge: 1. I bi ganz stuurm und vrloore 2. Outo 3. T'Innkwisizioon 4. Die Autofahrt durch die Nacht (67' total)
Dialekt (1./2./3.) Kurzhörspiele Auftrag Montagsstudio Hörspiel-Erstling [D&F]
Joseph Scheidegger, Basel
3.11.69
69 (DRS-2, 1 Sdg.), 70 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
r+f 19/70, S.56, --, Vier Dialoge
NZZ, 8.11.72, K.O., Der Schweizer Schriftsteller zwischen Mundart und Hochsprache: "T'Innkwisizioon oder Die Inquisition?"
 
"Inquisition", 1977 als Fernsehspiel (Dialekt) bei DRS inszeniert
Von E. Pulver als "interessant" bezeichnet [Kindler 1974, S.354]
 
"Walter Vogt schrieb in unserem Auftrag zum ersten Mal für das Radio. Es sind drei Etüden im Dialekt und ein hochdeutscher Dialog entstanden, die sich zwar äusserlich voneinander unterscheiden, im Kern jedoch verwandt sind. Das Grund-Thema wird in einem der vier kurzen Hörspiele ganz deutlich formuliert: I bi ganz stuurm und vrloore." [Pgr 3/69, S.11]
 
"Walter Vogt schrieb die 'Vier Dialoge', die am 3.November 1969 im Montagsstudio erstmals gesendet wurden, in unserem Auftrag. Es handelt sich um seine erste Arbeit für das Radio: drei Etüden im Dialekt und ein hochdeutscher Dialog, die sich äusserlich voneinander unterscheiden, im Kern jedoch verwandt sind.
Das Grundthema wird in einem der vier kurzen Hörspiele immer wieder formuliert: i bi ganz stuurm und vrloore." [Pgr 2/70, S.4]
 
"Walter Vogt, Berner Schriftsteller, Arzt ('Ich war leitender Röntgenarzt am Tiefenauspital. 1968 kehrte ich zu meiner alten Liebe, der Psychiatrie, zurück') und Politiker ('Mich beschäftigt die Stellung der Geisteskranken in der Gesellschaft. Das ist von vornherein ein politisches Problem'), schrieb die 'Vier Dialoge' im Auftrag des Schweizer Radios. [...]" [r+f 19/70]
 
"1969 brachten wir im Rahmen des Montagsstudios zum ersten Mal drei kurze Dialekt-Hörspiele von Walter Vogt. Der Autor hat nun einen dieser Dialoge, ein Gespräch zwischen Arzt und Patientin in einer Nervenklinik, aus experimentellen Gründen auch auf Hochdeutsch übertragen, und wir produzierten, mit den gleichen Schauspielern, eine hochdeutsche Fassung. Partien aus den beiden verschiedenen sprachlichen Fassungen sowie Gedichte von Kurt Marti, die berndeutsch und hochdeutsch gegenübergestellt werden, bilden die Grundlage zu einem Gespräch über Fragen des Dialekts, an dem sich zwei Autoren, ein Wissenschafter und ein Radiomitarbeiter beteiligen werden." [Pgr 3/72, S.11]
 
"Von dieser neuen Auffassung des Dialekts her ergeben sich auch neue Möglichkeiten für das Drama. Dass er auch unsere Sprache ist bei geistigen Störungen und Depressionen, zeigt ein Hörspiel von Walter Vogt (*1927, Dialoge, 1969), ein Gespräch zwischen Arzt und Patientin, in dem Angst und Bedrängnis elementaren Ausdruck finden. (Die mundartliche Fassung hat sich nicht zufällig als ungleich stärker erwiesen als eine Übersetzung ins Schriftdeut-
sche.)" [Ki, S.363]
 
 

Arnold H. Schwengeler
Niklaus Manuel (86')
Bearbeitung: H.R.Hubler / A.H.Schwengeler (Hörspiel nach dem gleichnamigen Bühnenwerk) [L+L]
Hans Gaugler, Bern
5.11.69
69 (DRS-1, 1 Sdg.), 80 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
"In seinem 1941 uraufgeführten Schauspiel zeichnete der Autor den Berner Maler, Dichter und Staatsmann in vier Bildern; er behielt diese Gliederung auch in seiner Hörspielfassung aus dem Jahre 1969 bei:
- Manuel als junger Maler und Bräutigam...
- Manuel als Feldschreiber in Italien...
- Manuel als Landvogt von Erlach und
- Manuel, Mitglied des Kleinen Rates, als Politiker.
Das Spiel bewegt sich im Freiraum der dichterischen Fantasie, ohne die historischen und biographischen Fakten ausser acht zu lassen. Niklaus Manuel, dessen Todestag sich am 28.April 1980 zum 450.Male jährt, erhält in dieser Darstellung Farbe und Profil." [Pgr 1/80, S.19]

1968         1970