1971        1973

Werner Schmidli
Von Mensch zu Mensch. Rekonstruktionen aus dem Alltag: 1. Als ich noch jung war 2. Zwei Männer machen Arbeitspause 3. Verwandtenbesuch 4. Man trifft sich 5. Zwei Ehepaare entschliessen sich, etwas zu unternehmen (32')
Kurzhörspiel Montagsstudio [D&F]
Joseph Scheidegger, Basel
3.1.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
r+f 53/71, S.70-71, Rudolf Blum, "Dramatik spielt sich im Alltag ab". Werner Schmidli und seine Hörszenen "Von Mensch zu Mensch"
 
Kassette: ExLibris (TR-Verlagsunion, Audiothek-Reihe)
 
"In den vorliegenden Rekonstruktionen sollen Verhaltensweisen bewusst gemacht werden, wie sie sich in unserer Sprache zeigen. Die Dialoge sind dem helvetischen Leben 'abgelauscht', ihrem Wesen nach also Schweizerdeutsch. Der Autor verwendet jedoch bewusst die Schriftsprache. Durch diese Stilisierung bekommt der Hörer Distanz zu den vertrauten Klängen, sie lullen ihn nicht ein." [Pgr 1/72, S.3]
 
"Gemessen an seinem epischen Schaffen ist sein dramatisches Werk 'noch bescheiden' (Schmidli). Zwar wurde an der Expo 64 ein Stück des damaligen Jungautors gespielt, zwar inszenierte das Radio-Studio Basel wiederholt Schmidli-Hörspiele - ein tiefes Interesse am Dramatischen erfasste ihn doch erst vor anderthalb Jahren, nachdem er von Rezensenten und einem - ausgerechnet - schwedischen Verlagsfachmann darauf aufmerksam gemacht worden war, dass in seinen Büchern ein Element stets von besonderer Qualität sei: die Dialoge.
[...]
Während Werner Schmidli früher immer nur 'mit einem Auge aufs Dramatische geschielt' hat, erarbeitet er sich dieses Gebiet jetzt systematisch.
[...]
Über all diesen Arbeiten steht sein Credo: 'Dramatik spielt sich im Alltag ab, in den banalen, alltäglichen Vorgängen.'
[...]
In der Periode, da sich Schmidli in neuen Medien versuchte, sind auch die fünf Hörszenen entstanden, die Radio DRS nächste Woche in seinem 'Montagsstudio' sendet. Joseph Scheidegger inszenierte sie unter dem ironisch-bösartig-betulichen Titel 'Von Mensch zu Mensch'. Das sind modellhafte Gespräche und Scheingespräche unter Mitmenschen, gebastelt aus verkappten und unverkappten Redensarten, aus Spruchweisheiten und -lügen. Es geht in diesen Etüden um die Tauglichkeit und Untauglichkeit unserer Sprache als Kommunikationsmittel, es geht um die Sinnentleerung und Gefährdung dieser Sprache, es geht um die Klischierung unseres Denkens und Fühlens. Mit diesen 'Rekonstruktionen aus dem Alltag' sollen dem Hörer 'Verhaltensweisen bewusst gemacht werden, wie sie sich in unserer Sprache manifestieren' (Scheidegger). Diesem Ziel dient ein Verfremdungseffekt: Autor und Regisseur stilisieren die aus der schweizerischen Mundart geholten Redefloskeln in Hochdeutsch." [r+f 53/71, Rudolf Blum]
 
 
 
Beat Brechbühl
Wohnrecht - eine Hörkomödie, die auch im Januar spielen kann (13 Monate für 12 Autoren) (60')
Komödie [U]
Paul Roland, Bern
11.1.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
r+f 1/72, S.68/69, Hans Wäfler, 13 Monate für 12 Autoren. Schweizer Schriftsteller unterhalten Sie mit einer Monatssendung / Herr Brechbühl, sind Sie ein Kneuss?
 
"Die Vorhut in des Schweizer Radios Feldzug gegen den Ingrimm bildet der junge Schriftsteller Beat Brechbühl. Er meint zu seinem Beitrag: 'Ein grosses Thema, das ich auf das Banale, Alltägliche herabtransportiert habe.' Der Titel: 'Wohnrecht - eine Hörkomödie, die auch im Januar spielen kann'. Er hat seinen Beitrag dem Monat Januar nicht eigens auf den Leib geschneidert, da die Monate für ihn nur noch 'Zeitabschnitte bedeuten, keine charakteristischen Züge mehr tragen': 'Früher, als wir noch Knirpse waren, lag der Schnee haufenweise herum, so dass man Ski fahren konnte. Heute ist der Januar ein Pflotschmonat.' Die Schuld an der ganzen Misere liegt nach Brechbühl bei den Atomversuchen: 'Wenn man die Welt noch weiter so schüttelt und 'düreboxet', wird das noch böse enden.' Die 'beschissene' Situation, die in diesem Hörspiel zum Ausdruck kommt, so vernimmt man, sei aber schon typisch auf den Januar, diesen geldbeutelebbenen, nicht enden wollende Monat, gemünzt." [r+f 1/72, Hans Wäfler]
 
 
 
Peter Zeindler
Informationen (65')
Hörspiel-Erstling [D&F]
Robert Bichler, Zürich
22.1.72
72 (DRS-1, 2 Sdg.)
 
r+f 2/72, S.60, Peter Zeindler, Informationen
 
von E.Pulver als "interessant" bezeichnet [Kindler 1974, S.354]
 
"So zahlreich die Informationen auch sein mögen, die wir tagtäglich durch die Massenmedien übermittelt bekommen, sie sind und bleiben nur Bruchstücke, Ausschnitte dessen, was man gemeinhin als Realität bezeichnet. Dennoch nehmen wir nur zu oft und unreflektiert den Teil für das Ganze.
Zwangsläufig ist das so gewonnene Bild eine Entstellung und Verzerrung der Wirklichkeit, was meist erst dann erkannt wird, wenn ein Ereignis uns ganz persönlich betrifft.
Diese Erfahrung muss auch der als Lektor in einem Presseausschnittbüro arbeitende Oskar Wachter machen, als er ungewollt in eine Affäre verwickelt wird und ernüchtert feststellen muss, dass sein fast ausschliesslich auf Zeitungsmeldungen beruhendes Weltbild nichts anderes als ein Spiegelkabinett der Illusionen ist.
Die Rolle des Oskar Wachter spielt Peter Oehme." [Pgr 1/72, S.6]
 
"Hauptfigur meines Hörspiels 'Informationen' ist Oskar Wachter, Lektor in einem Presseausschnittbüro. Berufshalber befasst er sich täglich mit Zeitungen. Er liest Artikel, Meldungen, Reklamen. Er liest sie nicht, um sie auf ihren Inhalt hin zu überprüfen. Er sucht darin nur nach einem bestimmten Namen, nach einem Stichwort, um die verschiedensten Aufträge der zahlreichen Abonnenten zu befriedigen.
Wachters Weltbild setzt sich aus diesen Zeitungsmeldungen zusammen, aus Bruchstücken, aus Ausschnitten dessen, was er unter Realität versteht.
Wachters Beruf schliesst Engagement aus. Er fordert Distanz. Neutralität. Wachter hält sich heraus. Aus Vorsicht, um die Übersicht nicht zu verlieren. Oder aus Feigheit. 'Neutralität ist unsere vornehmste Aufgabe', lautet die Losung seines Chefs. Wachter hält sich daran. Wachter ist loyal.
Durch Zufall aber gerät mit einem Male Wachters Weltbild aus den Fugen. Ein einzelner Abonnent unter 5000, für Wachter bis dahin ein blosser Name, eine Lochkarte, wird zum Fall, weitet sich aus, bläht sich auf. Wachter verliert Orientierung und Übersicht. Wachter gerät ausser sich.
Glück für Wachter, dass dieser Fall zum Todesfall wird. Und damit zum Fall des Polizeikommissars. Wachters Schluss: Die einzige Realität ist der Tod. Tot ist tot. Da weiss man, woran man ist. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes beträgt 68 Jahre. Seine durchschnittliche Körpergrösse 1 Meter 73. Also sind tote Männer im Durchschnitt 68 Jahre alt und 1 Meter 73 gross. Frauen werden älter, dafür sind sie kleiner.
Wachter hält sich an Durchschnittswerte. An die durchschnittliche Wahrheit. Statistisch errechenbar. Die durchschnittliche Gegenwart ist errechenbar aufgrund der durchschnittlichen Vergangenheit. Die durchschnittliche Zukunft aufgrund der durchschnittlichen Gegenwart. Wachter hält sich an Durchschnittswerte. Und an Todesfälle." [r+f 2/72, S.60, Peter Zeindler]
 
 
 
Erica Pedretti
Februar - oder das ganze Volk fährt Ski oder... (13 Monate für 12 Autoren) ()
O-Ton-Hörspiel Neues Hörspiel [U]
Paul Roland, Bern
15.2.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
r+f 6/72, S.68/69, Hans Wäfler, Erinnertes, Gelesenes, Erzähltes, Geträumtes. Erica Pedretti
NZZ, 17.2.72, K.O., "Februar" oder ein Tummelplatz für Tontechniker
 
"...dann schnallen sich Urahne, Grossmutter, Mutter und Kind die Skier, 'die bockbeinigsten Dinger der Welt' (Sir Conan Doyle), an und rattern, rollen und jetten (vielleicht) ins Engadin, wo Erica Pedretti 'die verschiedenen Aspekte des
Wintersports ver-spürt'
aufge-spürt
und in eine Hör-Collage umgesetzt hat: 'FEBRUAR - oder das ganze Volk fährt Ski oder...' der grosse Skizirkus (?)
Dompteure der schneewilden Meute: Kurdirektoren, Idiotenbagger-Manager, Skiausrüstungsindustriebosse, Kommandanten von Touristenkasernen usw. usw. Einschmeichelnde Zirkusweisen: Helikoptergesäusel, Skiliftgemurmel, hohles Krückenklopfen im Walzertakt, Knochensägengekreisch, Minenwerferexplosion und Vivaldi, viel Vivaldi.
Nimmt Erica Pedretti in ihrer Sendung den ganzen Skitrubel aufs Korn? Möchte sie statt auf make-up-ierten Pisten im Antigliss-Anzug mit Topski (kreuzverleimter Lamellenkern, GFK-Laminate und gehärtete Alu-Folien, Magnesium Oberkante, G... Gliederkanten.. phenol... Polyäthylen... RSL, ST * * DM 600.--) wedeln, rasen, flitzen, lieber auf alten Hickory-Brettern mit Überfallhosen im unberührten Weiss Stemmbogen und Kristiania üben? Nein, im übrigen enthält sich Erica Pedretti jeglichen Kommentars. Sie lässt Pressechef und Skiverkäufer live ihre Superphrasen dreschen. Nietzsche ('Das Engadin ist das Rechte für mich') und C.F.Meyer ('Hier ist es so schön, so still und so kühl...') führen das Public-Relations-Geschwätz ad absurdum." [...]
"Bruch mit der Tradition in ihren 'Neuen Hörspielen': 'Badekur' (Prix Suisse 1970), 'Die Kaninchen' und 'Töchterinstitut' (in Vorbereitung) sowie der Funkmonolog 'Catch as Katz can' (Sendedatum 6.März 1972):
Gespräche, Monologe, Dialoge nicht linear aufzeichnen, in neuer Notation:
Gespräche Gedankenfetzen Reflexionen
Erinnerungen Anspielungen
Assoziationen Widerspiegelungen
simultan wiedergeben und sichtbar
assoziativ stereophon
hörbar machen"
[Pgr 6/72, Hans Wäfler]
 
 
 
Willy Buser / Guido Wiederkehr
"...z'friede, so wie's isch". Collage mit Originalaufnahmen nach einer Idee von Konrad Hansen (60')
O-Ton-Hörspiel (Collage) [D&F]
Willy Buser / Guido Wiederkehr, Basel
5.3.72
72 (DRS-2, 2 Sdg.)
 
r+f 9/72, S.74/75, Guido Wiederkehr, Was wir täglich hören. "...z'friede, so wie's isch". Collage von Willy Buser und Guido Wiederkehr mit Originalaufnahmen nach einer Idee von Konrad Hansen
 
"Vier Schweizerinnen und vier Schweizer der verschiedensten Altersstufen - ein Schüler, eine Coiffeuse, ein Chemiearbeiter, eine Sekretärin, ein Versicherungsvertreter, eine Schneiderin, ein Primarlehrer und eine gelernte Verkäuferin, die heute in einem chemischen Betrieb arbeitet - haben sich zu einer Anzahl Fragen geäussert, die sie nicht, wie bei einem Quiz, aus erlerntem Wissen heraus beantworten konnten. Sie mussten vielmehr spontan auf den Fundus ihrer persönlichen Lebenserfahrung zurückgreifen.
So wird unmittelbar Weltanschauung hörbar, keine, die den Anspruch auf Ewigkeitswert erhebt, sondern eine, die sich aus dem täglichen Leben, so, wie es nun einmal ist, ergibt." [Pgr 1/72, S.12]
 
"Dazu gehört auch in zunehmendem Mass jene Art von Hörspiel, in dem dokumentarisches Material, der sogenannte O-Ton (Original-Ton) als Substanzträger eingesetzt wird; manchmal naiv, gewissermassen als Beleg für die Richtigkeit einer Behauptung oder zur Illustration eines Geschehens, manchmal, zum Zweck der Ironisierung oder auch der Manipulation, hintergründig als Anreiz zur Kritik und zur Veränderung, manchmal einfach auch als Dokument unserer Zeit, dessen Bedeutung erst in der Stellungnahme des Hörenden zum Gehörten etabliert wird.
[...]
Zu den O-Ton-Hörspielen ist auch '...z'friede, so wie's isch' zu zählen [...]
Die Aussagen dieser acht sind nicht gestellt; sie sind original so zufällig oder so systematisch wie das, was wir jeden Tag hören, allerdings konzentrierter und dadurch auch zusammenhängender.
Die Anregung zu dieser Sendung gaben einmal die allerdings viel komplexeren, recht eigentlich 'komponierten' vier unter dem Obertitel 'Inventions' aufgeführten Experimentierhörspiele 'Dreams', 'Amor Dei', 'The After Life' und 'The Evenings of certain Lives' des englischen Schriftstellers Barry Bermange, dessen 'Rohstoff' die Äusserungen vieler Leute über ihre Träume, ihre Beziehungen zu Gott, ihre Vorstellungen von einem Leben nach dem Tode und die Erinnerungen alter Menschen war. Zum andern war es Konrad Hansens Collage 'Die Dinge nehmen, wie sie sind', die es nahelegte, etwas Ähnliches , wie er in Norddeutschland unternommen hatte, in der Schweiz zu versuchen." [r+f 9/72, Guido Wiederkehr]
 
 
 
Gerhard Meier
Heureka (11')
Kurzhörspiel Monologhörspiel Montagsstudio Hörspiel-Erstling [D&F]
Joseph Scheidegger, Basel
6.3.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
TA, 8.3.72, tm., Zwei Hörspiele
 
zusammen mit "Catch as Katz can" von E.Pedretti gesendet
 
 
 
Erica Pedretti
Catch as Katz can (13')
Stereo Kurzhörspiel Monologhörspiel Neues Hörspiel Auftrag Montagsstudio [D&F]
Joseph Scheidegger, Basel
6.3.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
TA, 8.3.72, tm., Zwei Hörspiele
 
zusammen mit "Heureka" von G.Meier gesendet
"Erica Pedretti darf beinahe als Hausautorin des Montagsstudios gelten. 1969 stellten wir sie in der Carte blanche zum erstenmal mit Prosa vor; kurz danach schrieb sie in unserem Auftrag ihr erstes Hörspiel 'Badekur'. In 'Catch as Katz can', einem Funkmonolog, erzählt die Autorin eine makaberlustige Begebenheit von einem Aufenthalt in Paris, wobei sie wieder mit den für sie charakteristischen Text-Überlagerungen und Rhythmisierungen arbeitet." [Pgr 1/72, S.12]
 
 
 
Louis Jent
Der März ist aller Laster Anfang. Analyse eines Monats (13 Monate für 12 Autoren) (60')
[U]
Paul Roland, Bern
7.3.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
 
 
Emmy Nöthiger-Bek
Nu mit Dir chan ich rede, nu mit Dir (32')
Dialekt [L+L]
Walter Wefel, Zürich
24.3.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
tvrz 11/72, S.69, Emmy Nöthiger-Bek, "Nu mit dir chan ich rede"
 
"Reden, sprechen, plaudern, um Kontakt mit den Mitmenschen aufzunehmen, ist uns ein Bedürfnis. Leider gibt es viele, die nicht 'aus sich herausgehen' können, die nur selten wagen, andere anzusprechen. Wer nicht selber schüchtern ist, kann die Tragweite solcher Hemmungen kaum erfassen. Was Einsame in ihren vier Wänden denken und fühlen, hört niemand -, doch am Radio können wir es miterleben.
Dass man sich vor lauter Hemmungen manchmal selber blockiert, auch dies wird hörbar in 'Nu mit dir chan ich rede', wo eine ältere Frau, deren Mann gestorben und deren Kind ausgeflogen ist, nicht weiss, wie sie ihren Abend ausfüllen soll. Zwar pfeift und schwatzt und lacht ihr Beo-Vogel (ein echter aus dem Zürcher Zoo ist zu hören), denn Tiere - seien es nun Hunde oder Katzen oder Vögel - müssen oft die fehlenden Menschen ersetzen. Dass es dennoch Möglichkeiten gibt, schliesslich den Weg zu den anderen zu suchen, dies wird am Ende dieses Hörspiels angetönt." [tvrz 11/72, Emmy Nöthiger-Bek]
 
 
 
Fritz Gafner
Die Schwebefliege (42')
4 [D&F]
Hans Jedlitschka, Zürich
25.3.72
72 (DRS-1, 2 Sdg.)
 
tvrz 11/72, S.69, Rudolf Blum, Schwebende Chiffre. Hörspiel von Fritz Gafner: "Die Schwebefliege"
 
"'Wissen Sie, was das ist, eine Schwebefliege?
So heissen jene Fliegen, die beim Fliegen stillstehen wie ein Helikopter.'
Schwebefliegen sehen aus wie Wespen, sind aber ungefährlich. Schwebefliegen schmücken sich also mit fremden Stacheln. Mimikry nennt man das.
Dem Autor geht es aber nicht um die Vorspiegelung falscher Tatsachen bei den Fliegen. Nicht nur Insekten überleben, wenn sie sich den herrschenden Verhältnissen anpassen. 'Der Mensch versteht sich ja auch als das Abbild von einem anderen, als er ist.'" [Pgr 1/72, S.15]
 
"Ein Insekt mit zwei Flügeln. Familie der Syrphiden. Gattung Syrphus, auf deutsch: die Schwebefliege. Ihr Zeichnungsmuster ist dem der Wespe ähnlich. Aber sie hat keinen Stachel. Ein harmloses, unscheinbares Ding. Völlig unbedeutend. Völlig unbedeutend?
Der Lyriker Fritz Gafner, evangelisch-reformierter Pfarrer in Winterthur, war von dem winzigen Geschöpf so angetan, dass er ihm sein neues Hörspiel widmete: Er lässt darin ein 'Du' meditieren über die Eigenheiten, die Besonderheiten, die Wesenheit dieser Insekten, 'die beim Fliegen stillstehen wie ein Helikopter'. Natürlich: Gafner hat sein Hörspiel nicht in erster Linie geschrieben, um seine 'Kenntnisse in der Naturkunde, also mein früheres Biologiestudium hier einmal so richtig zur Geltung' zu bringen. Sondern: Indem sein Hörspiel-Du die Schwebefliege beobachtet, denkt es nach über sich selbst, über menschliche Verhaltensweisen, über menschliches Sein. Textbeispiele: 'Ein Vogel, der Insekten frisst und die Erfahrung gemacht hat, dass eine Wespe zu fressen kein Genuss ist, frisst gewiss auch diese Schwebefliege nicht, weil er sie für eine Wespe hält. Dem sagt man Mimikry. Für eine Wespe gehalten werden und nur eine Schwebefliege sein.' Oder: 'Wenn man sich (also) dort, wo man gerade ist, schön stillhält, wird man weniger gefressen.' Und: 'Wer besser an die herrschenden Verhältnisse angepasst ist, der überlebt. Das ist ein natürlicher Vorgang. Man nennt ihn Selektion. Das heisst auf deutsch: Auslese. Aber wer trifft die Auslese? Die Vögel? Oder die Wespen? Oder wird sie gar nicht getroffen? Trifft sie einfach? Blind?'
Fritz Gafner: 'Die Schwebefliege wird durch mein Hörspiel zur Chiffre. Indem ich Beschreibungen der Schwebefliege neben Episoden aus dem menschlichen Leben setze, bekommt man das Gefühl: das gehört irgendwie zusammen. Wie es zusammengehört, weiss ich allerdings nicht. Deshalb bleibt die Schwebefliege Chiffre, Zeichen eines völlig geheimnisvollen Zusammenhangs.'
Die Dechiffrierarbeit überlässt der Autor dem Hörer. Eine schöne Arbeit.
Die Hörspiele des Dichter-Pfarrers aus Winterthur, der seine besten Einfälle 'in schlaflosen Nächten, bei Föhn' empfängt, sind verletzliche Gebilde, in sich gekehrt, von stillem, aber unablässigem Fragen erfüllt. Sie sind unspektakulär. 'Meine Hörspiele', sagt Gafner, 'sind für mich lange Gedichte.' Trotzdem war ihm Erfolg beschieden wie nur ganz wenigen Deutschschweizer Hörspielautoren dieser Jahre. [...]" [tvrz 11/72, Rudolf Blum]
 

 
Werner Wüthrich
A Deplorable Original Swiss Story (Der Fall Samuel Henzi) (60')
historisches Hörspiel Musik: Klaus Sonnenburg (Einrichtung) Förderpreis 1972 Hörspiel-Erstling
Amido Hoffmann, Bern
9.4.72
72 (DRS-2, 2 Sdg.), 76 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 14/72, S.70-79, Werner Wüthrich, Der Fall Samuel Henzi. Hörspiel: "A Deplorable Original Swiss Story" über die Henzi-Verschwörung 1749 in Bern
 
Kassette: "Der Fall Henzi", ExLibris (TR-Verlagsunion, Audiothek-Reihe) 1974
vgl. Werner Juker, Die Henziverschwörung, 1949 (Rf.)
Von E. Pulver als "interessant" bezeichnet [Kindler 1974, S.354]
 
"Der Autor schreibt zu seinem ersten Hörspiel:
'Original schweizerisch ist die Handlung, weil sie sich auf einen historischen Fall bezieht: unter dem Namen 'Henzi-Verschwörung' ist die 1749 gescheiterte Revolution einiger Bürger, die in Bern an Machtverhältnissen zu rütteln wagten, ohne selber Macht zu besitzen, in die Geschichte eingegangen. Bedauerlich - deplorable -ist der Handlungsverlauf; vor allem, weil die Unmöglichkeit, im 18.Jahrhundert bei uns Revolution zu machen, noch immer als Modellfall zur Darstellung und Charakterisierung heutiger Zustände dienen kann.'" [Pgr 1/72, S.17]
 
"Für seine ersten zwei Hörspiele ('A Deplorable Original Swiss Story' und 'Wanderungen') erhielt der Autor den Förderpreis 1972 der Stadt Bern." [Pgr 2/73, S.19]
[...]
"Das Hörspiel behandelt zwar einen historischen Stoff, aber indem es auf heutige Zustände anspielt, auf gewisse Parallelfälle staatlicher Unterdrückung in unserer Zeit hinweist, ist es kein 'Historiendrama': ich nenne daher - und weil ich ziemlich frei mit Namen umgehe - mein Werk 'historisch - aber nicht sehr'.
Andererseits hätten wir anhand der wieder aufgefundenen Texte des Schriftsteller-Revolutionärs Samuel Henzi (1701-1749) und gegen die bestehende Sekundärliteratur (in den Schweizer Geschichtsbüchern etwa), die zu den historischen Dokumenten in Widerspruch steht, unsere Kenntnisse und Meinungen über den Fall Henzi zu revidieren; über seine Zeit und ihre Folgen - oder was bedauerlicher und bedenklicher ist, über die ausgebliebenen Folgen. Wir müssten an diesem Beispiel unsere Geschichtsschreibung neu überdenken.
[...]
Samuel Henzi, der Sohn von Pfarrer Johannes Henzi aus Bümpliz bei Bern, Hauptmann in Modena, Schriftsteller - seine Epigramme waren von Paris bis Berlin bekannt und gefürchtet -, Unterbibliothekar, 1749 als Verschwörer gegen die 'Berner Usurpatoren und Capitalisten' hingerichtet, war einer der intelligentesten Köpfe im alten Bern. Als Dichter wie als Kultur- und Sozialkritiker gleich bedeutend. In einem vereinfachten Vokabular, aber mit fast den gleichen Worten und Begriffen - zumindest aber mit den gleichen Gedankenansätzen - formulierte er 100 Jahre vor Marx Teile der Marxistischen Theorien vorweg.
In Bern 'huldige man nicht der Stadt, sondern dem Stand', stellte Henzi etwa fest; und: die Aristokraten würden 'viele Posten, welche Brot aber kein Kapital abwerfen, errichten, damit man dem Bürger das Maul stopfe, und sich Kreaturen zum Spionieren machen könne.'
In einem neuen Regierungsprogramm zur Verbesserung der Missstände im Staat fordert Henzi unter anderem: 'Alle Leibeigenschaft soll abgeschafft werden.'
Und: 'Endlich soll das Schatz-Gewölb geöffnet, gezählt, und der Saldo alle Jahre angezeigt werden.'
Wer weiss, vielleicht würde man heute Samuel Henzi als grossen Dichter und Vorkämpfer der sozialen Gleichberechtigung feiern, hätte die Berner Regierung nach der gescheiterten Revolution 1749, dem sogenannten 'Burgerlärm', nicht alles daran gesetzt, sein Werk und seine Ideen totzuschweigen beziehungsweise zu verfälschen. (Sogar die Gerichtsakten über den Fall Henzi wurden sehr bald vernichtet.)
Die Vermutung, Lessings geplantes Henzi-Drama sei deshalb Fragment geblieben, weil die Berner den jungen Dichter bestochen hätten, hielt sich bis in unsere Tage (Friedrich Dürrenmatt). Wahrscheinlich lässt sich dieser Punkt nie mehr genau rekonstruieren." [...] [tvrz 14/72, Werner Wüthrich]
 
[...]
"Affirmativen Charakter, meint Wüthrich, haben nicht nur die ehemals sehr kritischen Werke von Schiller, affirmative Funktion haben heute bereits auch die Stücke von Brecht, mit dem sich der Autor aus Ittigen intensiv beschäftigte (1969 begann er mit der Dissertation 'Bert Brechts Aufnahme in der Schweiz'). Wüthrich über den armen B.B.: 'Er hatte eigentlich seine grösste Effektivität, als er nicht aufgeführt wurde. Als man ihn dann einfach als schizophren erklärt hatte (formal ein Dichter, politisch ein Kind), war er für jedermann goutierbar, und man hat sogar gemerkt, dass man mit ihm die Theaterkuh melken kann.'
Zitieren, Collagieren, Manipulieren
Ein Teil von Wüthrichs Arbeit ist Detektivarbeit: er will entlarven. Er will Ideologien, die 'sich als die Realität selbst ausgeben', als Fiktionen überführen. Er will deutlich machen, dass Schriftsteller in ihren Werken nicht die Wirklichkeit einfangen, sondern bloss 'ihre eigene Fiktion von der Wirklichkeit schaffen'. Seine Programmatik, Sprache als Sprache und deshalb als Fiktion zu demaskieren, hat die Arbeitsmethode, den 'Stil' des 25jährigen stark geprägt: er collagiert fremde Texte, manipuliert die Sprache der anderen, stellt alte Sätze in neue Zusammenhänge. Seine eigenen Erzeugnisse haben in einem unüblich hohen Masse Zitatcharakter.
Ohne das Seelig-Buch 'Wanderungen mit Robert Walser' gäbe es kein Wüthrich-Hörspiel 'Wanderungen'. Auch die 'Deplorable Original Swiss Story' besteht weitgehend aus Zitaten. Wüthrichs Umgang mit dem Thema Henzi-Verschwörung 1749 ist ein eklatantes Beispiel für seine spielerisch-ernsthafte Methode, bestehendes Textmaterial immer wieder unter anderen Aspekten zu betrachten und zu verändern: 'Über den Henzi habe ich 1970 ein Stück-Fragment geschrieben, 1971 das Hörspiel, und jetzt habe ich vor, aufgrund der Erfahrungen, der Gespräche, die ich über diese beiden Texte geführt habe, nochmals ein Stück darüber zu schreiben. Es wäre möglich, dass ich mein ganzes Leben lang nur einen einzigen Text weiterentwickeln könnte.'" [...] [tvrz 37/72, Rudolf Blum]
 
 
 
Manfred Schwarz
Demokratie oder ...da hani gsäit... (74')
Typoskript bei SLA, Bern
Dialekt [D&F]
Walter Baumgartner, Zürich
15.4.72
72 (DRS-1, 2 Sdg.)
 
Vermerk auf dem Produktionsformular: "Diese Produktion darf nicht mehr gesendet werden!" (?)
 
"Ein neues Mundarthörspiel von Manfred Schwarz. Ein neuer Versuch des Autors, sich mit den schweizerischen Gegenwartsproblemen ernsthaft auseinanderzusetzen.
Am Beispiel einer Schulpräsidentenwahl untersucht Schwarz, wie aus einem Gemisch von eiferndem Kleinbürgergeist, verletzten Eitelkeiten und persönlichen Vorteilen, von halben Wahrheiten und versteckten Erpressungen einerseits und dem Mangel an Bürgerrechtskenntnis, an Lust zum selbständig Denken und an Sinn für das Allgemeinwohl andererseits, ein sogenannter demokratischer Entscheid zustande kommt." [Pgr 1/72, S.18]
 
 
 
Peter Bichsel
Inhaltsangabe der Langeweile (41')
Typoskript
Typoskript bei SLA, Bern
Monolog-Hörspiel Prix Suisse 1972 [D&F]
Hans Jedlitschka, Zürich
16.4.72
72 (DRS-2, 2 Sdg.), 74 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 15/72, S.72, --, "Inhaltsangabe der Langeweile. Von Peter Bichsel
NZZ, 7.12.74, liv., Inhaltsangabe der Langeweile: zu einem Hörspiel von Peter Bichsel (DRS II, 5.12.74)
 
Laut Peter Jost hat man anfangs gezögert, die Produktion zu senden, da sie dem damaligen Hörspiel-Verständnis der Programmschaffenden zu sehr widersprochen habe.
 
Wiederholung im Rahmen des 50-Jahr-Jubiläums, 1974
Von E. Pulver als "interessant" bezeichnet [Kindler 1974, S.354]
 
"'Inhaltsangabe der Langeweile' ist insofern kein Hörspiel, als darin nicht gespielt wird, also die Stimmen sozusagen in keinen Kontakt zueinanderkommen, sondern völlig nebeneinanderstehen. Im Grunde genommen ist es ein Monolog einer einzigen Stimme und die andern Stimmen sind eigentlich nur Projektionen dieser einen Stimme.
Das Thema des Hörtextes ist die Erinnerung, nicht etwa die Erinnerung an etwas Besonderes, sondern die Erinnerung als Eigenwert, die Erinnerung an und für sich.
'Denn weil es Erlebnisse sein sollten, die wir im Gedächtnis zu speichern hätten, wird - wenn Erlebnisse fehlen - alles, was noch gespeichert ist, zum Erlebnis', sagt die Kommentarstimme und meint damit, dass wir uns in unserm bürgerlichen Leben angewöhnt haben, alles, an das wir uns erinnern, als Werte zu empfinden. Wenn zwei sich treffen und der eine sagt: 'Weisst du noch' und erzählt etwas völlig Gewöhnliches, wird dieses Gewöhnliche damit aufgewertet zu etwas fast Pathetischem, zu einem Beweis sozusagen, dass wir gelebt haben und leben. Dazu gehört selbst die leere Erinnerung an Namen, an Daten oder auch, wie hier, das Zitieren der Inhaltsangabe einer Oper. Die Atmosphäre der Erinnerung kann auch die Atmosphäre des Kitsches sein. Zum mindesten ist diese wertfreie Erinnerung etwas Romantisches. In diesem Sinne ist der Hörtext von Peter Bichsel ein romantischer Text, und er will nicht etwa als Parodie verstanden werden." [Pgr 1/72, S.18; tvrz 15/72, S.72]
 
 
 
Eduard Imhof
Sowohl als auch. Ein aus dem Zwitterantlitz des kontradiktorischen Monats April heraus zu sprechendes Rezital für schwarze und für weisse Zebras (13 Monate für 12 Autoren) (60')
[U]
Paul Roland, Bern
18.4.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 15/72, S.70/71, Hans Wäfler, Schwarze Zebras, weisse Zebras und ein Pfarrer. Reihe "13 Monate für 12 Autoren": Eduard Imhof und der April
 
 

Ingeborg Kaiser
Ordnungshüter (40')
Musik: Makaya Ntsoko / Ernst Neukomm [D&F]
Guido Wiederkehr, Basel
23.4.72
72 (DRS-2, 2 Sdg.)
 
tvrz 16/72, S.72, --, Ein braver Mann. "Ordnungshüter". Hörspiel von Ingeborg Kaiser
NZZ, 29.4.72, lb., Ordnungshüter. Ein Hörspiel von Ingeborg Kaiser
 
NSB: Ein ordentlicher Fall, Hsp, o.J.
 
"Die Autorin bemerkt zu ihrem Hörspiel: 'Ordnung ist ein konservativer, autoritärer Begriff, der in den kapitalistischen und sozialistischen Ländern die gleiche Machtstellung hat. Ordnungszäune schränken die Freiheit des einzelnen mehr oder weniger empfindlich ein. Man ordnet sich unter, wird von Verordnungen geregelt, verhält sich weisungsgetreu.
Moritz Moritz, ein autoritätsgläubiger einfacher Mann, gerät unverschuldet in die Mühlen der Ordnung und wird in ihnen zermahlen.'" [Pgr 1/72, S.19]
 
"'Illusion ist die Vorstellung, eine bestehende Ordnung einreissen zu müssen, um einer idealeren den Weg zu bahnen. Es gibt weder den vollkommenen Menschen noch das ideale Gesellschaftssystem. Entscheidend ist nicht das System, sondern die Politik, die Manipulation vom System.' (Marion Gräfin Dönhoff)
Moritz Moritz, im Hörspiel 'Ordnungshüter', hat nichts gemacht. Er hat sich machen lassen. Ist gemacht, geboren, und in eine Ordnung gestellt worden. Moritz nimmt diese als gegeben an. Richtet sich ein. Sein Denken und Handeln bewegt sich im Ordnungsschema des einfachen, autoritätsgläubigen Menschen; er bleibt unmündig. Sein schematisches Weltbild stützt sich auf Ordnungskrücken. Moritz erstarrt zum systemhörigen verwalteten Menschen, dessen Abhängigkeit missbraucht werden könnte.
Moritz Moritz kommt in Schwierigkeiten, persönlicher Natur. Seine Ordnung stellt sich gegen ihn. Er gerät in die Ordnungsmühlen und reagiert bei direkter Konfrontation mit der Verwaltungsmaschinerie mit hilflosen Gesten. Moritz Moritz wird ein Opfer seiner bedingungslosen Gläubigkeit." [tvrz 16/72]
 
 
 
Franz Hohler
Das Besondere am Mai (13 Monate für 12 Autoren) (60')
Radiosendung (?) [U]
Paul Roland, Bern
9.5.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 18/72, S.73, Hans Wäfler, Unverkennbar? Franz Hohler: "Der Mai"
 
 

Alain Claude Sulzer
Swan-Song - Schwäne langweilen sich (44')
Dialekt Montagsstudio-Werkstatt 2 [D&F]
Guido Wiederkehr, Basel
5.6.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 21/72, S.75/75, Claude B.Kirton, Acht junge Schweizer - acht Anklagen. Werkstatt-Reihe im Montagsstudio
tvrz 22/72, S.68, Alain Claude Sulzer, Swansong. Dialekthörspiel von Alain Claude Sulzer
 
"Das Radio hat zu unterhalten; seine kulturpolitische Bedeutung, wie sie etwa in der Förderung junger Talente zum Ausdruck kommt, darf jedoch auch nicht unterschätzt werden.
Im Montagsstudio, das schon einigen Autoren als Sprungbrett diente, machen wir vom 29.Mai bis 26.Juni einen Versuch mit einer Werkstatt-Reihe, in der ein paar junge Schweizer Schriftsteller Gelegenheit erhalten, das Medium näher kennen zu lernen. Die zum Teil kurzen Szenen und Etüden sollen gleichzeitig unseren jungen Regisseuren die Möglichkeit zu neuen Erfahrungen geben." [Pgr 2/72, S.2]
 
"Alain Claude Sulzer charakterisiert in 'Swansong - Schwäne langweilen sich' das nicht mehr an eine soziale Klasse gebundene Milieu junger Menschen, die die Welt nicht verstehen, keine Energien in sich finden, die Welt verstehen zu wollen, und resigniert dahinvegetieren; manchmal, vom Entsetzen der Ausweglosigkeit ihrer Existenz überwältigt, versuchen sie, etwas dagegen zu unternehmen, wobei sie zur Erkenntnis kommen, dass es für sie lediglich eine Erlösung gibt, die aber noch unverständlicher und schrecklicher ist als ihr Leben - nämlich der Tod!" [tvrz 21/72, Claude B.Kirton]
 
"1953 als Sohn einer Westschweizerin und eines Deutschschweizers in Basel geboren. Habe meine Schuljahre hinter mich gebracht und dabei nichts Wesentliches gelernt. Schriftsteller wollte ich schon immer werden, wenn ich auch nicht immer wusste, welche - sowohl politischen als auch kulturellen - Verpflichtungen ein solcher hat und wozu er eigentlich existieren soll und muss. Schreiben ist keine Spielerei, keine Fingerübung und nichts für auch noch so progressive Romantiker. Schreiben bedeutet nicht, sich in einem originellen Stil möglichst individuell zu üben. 'Gesellschaftskritik' ist kein Gesellschaftsspiel. Es gäbe vieles zu ändern heute, wir benötigten dazu eine kulturelle Revolution, ohnehin: Eine Revolution könnten wir brauchen! Will der Westen nicht, was der Osten (ich meine damit China) zu einem grossen Teil konnte? Kann er nicht? Oder weiss er einfach nicht, dass jedes Individuum ebenso Recht auf sich und seine Umgebung hat wie das andere Individuum? - Kann der Schriftsteller heute es sich erlauben, sich in Spielereien weder für links noch irgendwas, sondern für 'die Moderne', 'die Popart' usw. zu entscheiden? Wo sieht man hier denn Spiel? Für sehr wenige Menschen, und dies dürfte klinisch erwiesen sein, ist das Leben eine mehr oder mindere Spielerei, Leben ist hier, auch anderswo, beinahe überall: Existenzkampf, Kapitalismus, Unterwerfung, Verdrängung, Neurose und Todesangst. Mehr nicht. Und liesse sich dies denn nicht ändern?" [tvrz 22/72, A.C.Sulzer]
 
 
 
Rolf Geissbühler
Juni und Co. (13 Monate für 12 Autoren) (60')
[U]
Paul Roland, Bern
6.6.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 22/72, S.66-74, Hans Wäfler, Ein verquerer Gring. Rolf Geissbühler, Autor der Sendung "Juni & Co." im Zyklus "13 Monate für 12 Autoren"
 
 
 
Gertrud Schürch
Der Mann mit den grauen Augen (37')
Dialekt Dialektbearbeitung: Hans Rudolf Hubler [L+L]
Robert Egger, Bern
9.6.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.), 74 (DRS-1, 1 Sdg.), 79 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
tvrz 22/72, S.69, Gertrud Schürch, Der Mann mit den grauen Augen
 
"Eine kleine Reisegruppe weilt ein paar Tage im sommerlich heissen Florenz. Man lässt sich die Sehenswürdigkeiten zeigen und widmet sich unter kundiger Führung der Kunst. In der Galerie Pitti bleibt Julia, das empfindsame Mädchen mit den tizianroten Haaren, allein zurück und wird eingeschlossen. Es kommt nicht mehr los vom 'Mann mit den grauen Augen' - dem Gemälde Tizians." [Pgr 2/79, S.12]
 
"Nach vier Gedichtbänden entstand das Hörspiel 'Der Mann mit den grauen Augen'. Längst geplant, hätte es vor Jahren geschrieben werden können.
Anstoss dazu gab Tizians berühmtes 'Bildnis eines Unbekannten', das in der Pitti-Galerie in Florenz hängt.
Da sich dieser Stoff in keine lyrische Form pressen liess, entstand ein Hörspiel, dessen Inhalt rückblendend auf den Brennpunkt in der Pitti-Galerie hin sich abrollt.
Während Julias Heimfahrt von Florenz erlebt sie nochmals Tag für Tag dieser sonderbaren Reise, in der Hetze von einer Sehenswürdigkeit zur andern hin. Dabei wird die uralte Frage der Menschheit aufgeworfen: Was ist Wirklichkeit und was Traum - bis zu jener letzten Phase der eigenen Entfremdung, in der sich die Betroffene fragt: Wer bin ich..." [tvrz 22/72, Gertrud Schürch]
 
 
 
Hans Ulrich Christen
Der schlafende Mann im Garten (6')
Kurzhörspiel Montagsstudio-Werkstatt 1 [D&F]
Guido Wiederkehr, Basel
12.6.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 21/72, S.74/75, Claude B.Kirton, Acht junge Schweizer - acht Anklagen. Werkstatt-Reihe im Montagsstudio
 
"Hans Ulrich Christen, von Haus aus Lyriker, versucht in 'Der schlafende Mann im Garten' mit dem Mittel äusserster symbolischer Verknappung die totale gegenseitige Verkennung zweier Ehepartner wiederzugeben und gleichzeitig darzulegen, wie sich der ungeliebte und nicht liebende Mensch bis zum Selbstverlust fremd wird." [tvrz 21/72, Claude B.Kirton]
 
 
 
Christoph Geiser
Die Besitzenden (16')
Kurzhörspiel Montagsstudio-Werkstatt 1 [D&F]
Martin Bopp, Basel
12.6.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 21/72, S.74/75, Claude B.Kirton, Acht junge Schweizer - acht Anklagen. Werkstatt-Reihe im Montagsstudio
 
von E.Pulver als "interessant" bezeichnet [Kindler 1974, S.354]
Buchvorlage: Die Besitzenden (Kurzgeschichte), Basel (Reinhardt) 1970/71, S.105-114
 
"Christoph Geisers 'Die Besitzenden' ist ein mit akustischen Signalen aus dem Alltag durchsetzter Wachtraum eines jungen Mannes, der aus seiner Familie mit ihrer materialistischen Denkweise ausbrechen möchte. Doch ist er mit allem, was er bekämpft und ablehnt, schon so gründlich infiziert, dass ein Ausbruch über seine Kräfte geht und ein Ausbruchsversuch, wenn er überhaupt zustande kommt, die Ordnung, die er desavouieren sollte nur bestätigen wird." [tvrz 21/72, Claude B.Kirton]
 
 
 
René Peter
Happening (20')
Kurzhörspiel Montagsstudio-Werkstatt Hörspiel-Erstling [D&F]
Walter Baumgartner, Zürich
12.6.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 21/72, S.74/75, Claude B.Kirton, Acht junge Schweizer - acht Anklagen. Werkstatt-Reihe im Montagsstudio
 
"René Peter benutzt in 'Happening' eine Autofahrt, von der bis zum Schluss absichtlich unklar bleibt, ob sie wirklich oder simuliert stattfindet, um die jede Gemeinschaft bedrohende Entfaltung von Aggressionen in einem Individuum zu demonstrieren, Aggressionen, die fatalerweise von durch die Gemeinschaft unumgänglich verursachten Umständen ausgelöst werden." [tvrz 21/72, Claude B.Kirton]
 
 
 
Martin Roda Becher
Klopfen (6')
Kurzhörspiel Montagsstudio-Werkstatt Hörspiel-Erstling [D&F]
Martin Bopp, Basel
19.6.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 21/72, S.74/75, Claude B.Kirton, Acht junge Schweizer - acht Anklagen. Werkstatt-Reihe im Montagsstudio
 
zusammen mit "Gurzemeintnuch" von W.Lässer gesendet
 
"'Klopfen' von Martin Roda Becher ist eine ironische Variation über das von vielen Institutionen überstrapazierte Gewissen. Es regt sich nachts durch ein unidentifizierbares Geräusch bei zwei alten Leuten und lässt für Augenblicke hinter dem Verputz von Gesellschaftskonformität individuelle Schuld ahnen, die aber, wie schwer sie auch sein mag, ungesühnt bleibt, weil die äusserlichen Gesellschaftsformen dadurch nicht verletzt worden sind." [tvrz 21/72, Claude B.Kirton]
 
 

Werner Lässer
Gurzemeintnuch (15')
Dialekt Kurzhörspiel Montagsstudio-Werkstatt Hörspiel-Erstling [D&F]
Martin Bopp, Basel
19.6.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 24/72, S.64, --, Zwei Hörspiele. Werner Lässer: "Gurzemeintnuch". Martin Roda Becher: "Klopfen"
tvrz 21/72, S.74/75, Claude B.Kirton, Acht junge Schweizer - acht Anklagen. Werkstatt-Reihe im Montagsstudio
 
zusammen mit "Klopfen" von M.R.Becher gesendet
 
"Werner Lässer hat mit 'Gurzemeintnuch' einen Dialog zwischen einem älteren Ehepaar aufgezeichnet, das sich nichts mehr zu sagen hat, aber nichtsdestoweniger viel spricht - über die Tochter, die mit einem Italiener liiert ist. Während ihres Gesprächs manifestiert sich ein in seiner zerstörerischen Gewalt schockierender Fremdenhass, der in Wirklichkeit die Verkleidung von Eigenhass, Verbitterung und Borniertheit ist." [tvrz 21/72, Claude B.Kirton]
 
 
 
E.Y. Meyer
Spitzberg (37')
Montagsstudio-Werkstatt Hörspiel-Erstling [D&F]
Guido Wiederkehr, Basel
26.6.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 21/72, S.74/75, Claude B.Kirton, Acht junge Schweizer - acht Anklagen. Werkstatt-Reihe im Montagsstudio
 
"E.Y.Meyer hat mit 'Spitzberg' ein 'Biertischgespräch' geschrieben. Um die realistische Stimmung zu brechen, die das Thema automatisch mit sich bringt, lässt er seine Protagonisten ein künstliches, Distanz schaffendes Deutsch sprechen. 'Spitzberg' ist als Kritik an der chauvinistischen, ja faschistischen Mentalität gemeint, die manche Schweizer, trotz der Informationen, die ihnen ein differenziertes Urteil erlauben würden, mit ungeheuerlicher Selbstgerechtigkeit pflegen." [tvrz 21/72, Claude B.Kirton]
 
 
 
Alfons Volken
Nywzytlechi Heimchehr (39')
Dialekt Oberwalliser Mundart Ausführende: Oberwalliser Hörspielgruppe [L+L]
Robert Egger, Bern
11.8.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.), 80 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
tvrz 31/72, S.52, hrh., Nywzytlechi Heimchehr
 
"Nywzytlechi Heimchehr. So betitelt Alfons Volken sein Hörspiel in Oberwalliser Mundart. Das schlichte, geradlinig angelegte Stück behandelt das Thema des Auswanderers, der in sein Dorf zurückkehren und heiraten möchte. Er findet aber unter Verwandten und Freunden keine Bereitschaft, ihm eine Wohnung, ein Haus oder einen Bauplatz zur Verfügung zu stellen. Im Dorf gibt man sich modern, man ist aus begreiflichen Gründen auf Tourismus eingestellt und hat für den Heimkehrer keinen Platz. An den Schwierigkeiten zerbricht seine Liebe; er verlässt das Dorf und kehrt zurück in die Fremde.
Das Spiel von Alfons Volken, der selber nicht mehr im Wallis lebt, verdankt seine Entstehung einem Aufruf des 'Rottenbundes'. Man ist im Wallis bemüht, Autoren zu finden, die Hörspiele in Oberwalliser Mundart schreiben und damit die einsatzfreudige Hörspielgruppe vor neue Aufgaben stellen." [tvrz 31/72, hrh.]
 
"Bedenkliches in heiterem Gewande zum Thema Fremdenverkehr und Spekulation, demonstriert an einem Oberwalliser, der von Zürich ins Goms zurückkehrt, um sich dort wenn möglich eine eigene Existenz aufzubauen; doch das Schicksal will etwas anderes - zu seinem Vorteil.
Ausführende: Oberwalliser Hörspielgruppe." [Pgr 2/80, S.19]
 
 
 
Ernst Eggimann
Lüdere Chilbi 2000 (13 Monate für 12 Autoren) (65')
Dialekt (?) [U]
Paul Roland, Bern
15.8.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 32/72, S.63, Hans Wäfler, Die Alp, die zum Alptraum wird. Ernst Eggimann: Lüdere-Chilbi 2000
 
"Blättern wir zuerst in den urchigen Annalen dieses bodenständigen Berglerfestivals: 'Mit der zunehmenden Landflucht und der Entvölkerung der Hügel und Krächen wurde es stiller hier oben. In den achtziger Jahren haben einige Millionäre hier ihre Villen mit Helikopterflugplatz gebaut. Ausser den Hippies sind sie die einzigen Bewohner. Vor drei Jahren ist der letzte Bauer gestorben. Und dann ist irgendein Unseliger auf die Idee gekommen, die Sache mit der Lüderen-Chilbi ganz gross aufzuziehen: Glücksautomaten surren, leuchten in allen Farben mit den Flipperkästen um die Wette, unzählige Raketen des Raketenzeitalters steigen und sinken, Funken sprühend, über Chrom, Glas und Neon...' Woumm - gedopte Sportler mit eingepflanzten künstlichen Atemventilen und zusätzlichen Muskeln starten zum Lüdere-Lauf, währenddessen das Aetherphantom seine Opfer fordert.
An der Lüdere-Chilbi 2000 findet man natürlich auch Reminiszenzen aus der 'Bluemete-Trögli-Zit': Sennen käsen aus natürlicher Kuhmilch einen Riesenemmentaler (mit Originallöchern), ein Oberländer 'Landwirt' lässt seinen Jodel erklingen ('Was für Töne, die an tiefste Schichten unserer Seele rühren..'). Eggi- und andere Mannen tollen sich im Sägemehl ('Um mit Schtucki'), und wir machen einen Besuch im ersten Mundartmuseum der Welt, eingerichtet zu Ehren des aussterbenden Berndeutsch (trotz Modern Mundart)". [tvrz 32/72, Hans Wäfler]
 
 
 
Walter Matthias Diggelmann
Die Fremden (46')
[D&F]
Hans Jedlitschka, Zürich
9.9.72
72 (DRS-1, 2 Sdg.)
 
tvrz 35/72, S.69, Rudolf Blum, Bin ich ich? "Die Fremden". Hörspiel von W.M.Diggelmann
 
"'Es könnte auch anders gewesen sein!'... denn es ist recht schwer, ein Verhalten zu rekonstruieren, selbst dann, wenn es die eigene jüngste Vergangenheit betrifft. Diggelmann geht auf eine neue Art den alten Fragen nach: Woher kommen wir? Wer sind wir? Die Frage, wohin wir gehen, beantwortet er nur andeutungsweise. Fremd ist zunächst alles. Auch das oder der Nächste. Das Fremde in einem selbst muss man darum zuerst akzeptieren, um für die 'Fremden' Verständnis aufbringen zu können.
Das Gespräch im abendlichen Wohnzimmer des Ehepaares Helene und Michael hat eigentlich schon vor dem Nachtessen begonnen, ja schon vor Monaten, wenn nicht sogar vor Jahren. Dass Helene und Michael das Gespräch überhaupt noch suchen, gibt Hoffnung auf eine Verständigung. Das ist ein neuer Ton in Diggelmanns Arbeit.
Das Ehepaar wird von Anneliese Betschart und Fred Haltiner gespielt." [Pgr 3/72,S.3]
 
[...]
"Diggelmann skizziert das Problem der Vereinzelung, der Entfremdung, der Isolation just an dem Modell, das gemeinhin als Synonym für Geborgenheit, Vertrautsein, Sicherheit gilt: am Beispiel der Familie. Gerade im engsten, privatesten, intimsten Bereich entdeckt der Autor Verhaltensstörungen. Seine Personen sind Ausgesetzte, Verwaiste, Uneheliche, Adoptivkinder, Stiefsöhne. Die Familie - hier ist sie ein Modell für die 'vaterlose Gesellschaft'.
Auch das macht Diggelmann sichtbar: dass die sozialpsychologische Frage nach der Fremdheit zwischen Mensch und Mensch letzten Endes zu der individualpsychologischen Frage nach der Fremdheit des einzelnen sich selbst gegenüber führt, zur Frage nach der eigenen Identität, einem Problem, das den Autor persönlich sehr beschäftigt: 'Bin ich mir selber fremd? Wer bin ich? Bin ich ich, oder bin ich jener, den die anderen aus mir gemacht haben? Jeder, der zu den Personen des öffentlichen Interesses gezählt wird, muss damit rechnen - und damit fertigwerden -, dass er öffentlich ein anderer ist als bei sich zu Hause. [...]'
In Anbetracht des Diggelmann-Images als eines prononcierten Linken wirken seine 'Fremden' erstaunlich privat (oder wie das seit ein paar Jahren heisst: privatistisch). 'Es ist', gibt der zurzeit im waadtländischen Etagnières lebende Autor zu, 'im Sinne der heutigen Sprachregelung gewiss kein politisches Hörspiel.' Aber: 'Nach meiner Meinung gilt der Begriff Politik auch für die Verhaltensweise eines einzelnen gegenüber der Gesellschaft und umgekehrt; ja auch innerhalb der kleinsten Gemeinschaft, der Familie also, wird Politik gemacht. Gerade deshalb habe ich mich auf eine Geschichte, eine Handlung beschränkt, der, wie ich hoffe, jedermann folgen kann. Angeregt zu diesem Hörspiel wurde ich freilich durch das, was man gemeinhin als Politik interpretiert, nämlich durch die nun seit Jahren aktuelle Überfremdungspolitik bei uns.'
Das Hörspiel, das so viel Unbehagen ausströmt, endet vergleichsweise tröstlich. Eine Art Happy-End wird angedeutet. Diggelmann lässt seine Figuren Hoffnung schöpfen. Hoffnung auf die Überwindung der lähmenden Fremdheit, Hoffnung auf einen neuen Anfang." [...] [tvrz 35/72, Rudolf Blum]
 
 
 
Rainer Brambach / Jürg Federspiel
September (13 Monate für 12 Autoren) (45')
[U]
Paul Roland, Bern
12.9.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
 
 
Werner Wüthrich
Wanderungen. Nach Motiven aus Carl Seeligs Buch "Wanderungen mit Robert Walser" (44')
Förderpreis der Stadt Bern 1972 2
Amido Hoffmann, Bern
17.9.72
72 (DRS-2, 2 Sdg.), 80 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
tvrz 37/72, S.66/67, Rudolf Blum, Die Wirklichkeit und die Lust am Denken. Werner Wüthrich und sein Hörspiel "Wanderungen"
 
"Für seine ersten zwei Hörspiele ('A Deplorable Original Swiss Story' und 'Wanderungen' erhielt der Autor den Förderpreis 1972 der Stadt Bern." [Pgr 2/73, S.19]
 
"Wo kann der Mensch noch Mensch sein, wo ist er noch 'normal'? Im Irrenhaus hinter der grauen Mauer oder draussen im Irrenhaus vor der grauen Mauer?
'In einem bescheidenen Winkel dahinträumen zu können, ohne beständig Ansprüche erfüllen zu müssen, ist bestimmt kein Martyrium', sagt Robert Walser über Hölderlin in diesem Hörspiel.
Robert Walser, der Schweizer Schriftsteller, zog sich 1933 in die psychiatrische Klinik Herisau zurück und schrieb bis zu seinem Tod 1956 keine Zeile mehr." [Pgr 3/72, S.4]
 
"Mit Alfons Hoffmann, Helmut Winkelmann, Wolfgang Rottsieper, Werner Schnitzer, Ingeborg Piontek." [Pgr 2/80, S.15]
 
"Wüthrich schrieb dieses Hörspiel nach Motiven aus dem Buch 'Wanderungen mit Robert Walser' von Carl Seelig, dem Nachlassverwalter von Walser. Dieses Werk, das der Jungliterat vor etwa sechs Jahren kennenlernte und das alsbald zu einem von seinen Lieblingsbüchern avancierte, entstand aufgrund der Seelig-Walser-Gespräche zur Zeit, als Robert Walser in der psychiatrischen Klinik Herisau weilte. Walser hatte sich 1933 dorthin zurückgezogen und bis zu seinem Tode im Jahr 1956 keine einzige Zeile mehr geschrieben.
Die heile Welt, das Irrenhaus
Was Wüthrich faszinierte, war die Vielschichtigkeit, die Ambivalenz dieses Buches. Er sagt: 'Walser galt ja als schizophren, sah aber die Probleme viel klarer als die sogenannten Normalen, die ausserhalb der Anstalt leben. Mir ist die Frage aufgetaucht: Spielt der Walser nur? Bietet ihm die Anstalt die letzte Möglichkeit, sich selber zu verwirklichen?' Wüthrichs Hörspiel-Arbeitshypothese:
'Die Aussenwelt ist pathologisch, krank. Für mich ist das Irrenhaus eine Metapher für eine sogenannte heile Welt.' Dass die Aussenwelt, unsere 'normale Gesellschaft', seelisch krankt, ist für den Autor mehr als ein literarisches Klischee.
[...]
Gesellschaft und Einsamkeit
Ursprünglich trug das Hörspiel den Arbeitstitel 'Die Zurücknahme' - Walser als Beispiel eines Menschen, der sich zurückgenommen hat, sich isoliert, die Stille wählt. Und der mit dieser Zurücknahme scheitert. Wüthrich: 'Der Walser gibt an einer Stelle meines Hörspiels zu, dass diese Art von Handeln zum Bankrott geführt hat. Als 70jähriger sagt er: 'Ach, könnte ich mich nochmals ins 30.Lebensjahr zurückversetzen! Ich würde nie mehr wie ein romantischer Luftikus ins Blaue hineinschreiben, sonderlingshaft und unbekümmert. Man darf die Gesellschaft nicht negieren. Man muss in ihr leben und für oder gegen sie kämpfen!''
Wieviel Gesellschaft braucht der Mensch und wieviel Stille? Wüthrich kann anhand des Falles Walser keine Lösungen fixieren, er bietet keine Lebenshilfe und keine Rezepte an. Sein Hörspiel aber soll den Zuhörer zwingen, 'für sich allein in einem dialektischen Prozess zwischen diesen Polen eine Alternative, die richtige Mischung zwischen diesen Polen eine Alternative, die richtige Mischung zwischen Gesellschaft und Einsamkeit zu finden'. [tvrz 37/72, Rudolf Blum]
 
 
 
Gerold Späth
Mein Oktober: Höllisch! (13 Monate für 12 Autoren) (60')
[U]
Paul Roland, Bern
3.10.72
73 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 39/72, S.73, Christian Wäfler, Späther Oktober. "Mein Oktober: höllisch!" von Gerold Späth
 
"Der Teufel ist los. Gerold Späth hat ihn losgelassen. In seiner Oktober-Unterhaltungssendung 'Mein Oktober: höllisch!': 'Es fliegen Bock und Beutel, es stieben Flaum und Federn, Himmel und Hölle sind los.'
[...]
In der Späthschen Hexenküche, in der es oft leicht zweideutig-unflätig duftet, hat der Hexenmeister früher schon einen Prachtsbrocken weichgekocht: 'Unschlecht' und später 'Stimmgänge'. Ein Band mit Geschichten wird folgen, und zurzeit arbeitet Späth [...] an einem neuen Roman." [tvrz 39/72, Christian Wäfler]
 
 
 
Hans Mohler
Regimentsspiel (5 Folgen) (je 45'-50')
Dialekt Hörspielfolge Bearbeitung durch den Autor [L+L]
Walter Wefel, Zürich
6.10.72 / 13.10.72 / 20.10.72 / 27.10.72 / 3.11.72
72 (DRS-1, 5 x 1 Sdg.), 79 (DRS-1, 5 x 1 Sdg.)
 
tvrz 39/72, S.74-77, Marianne Boije, Ibsen - mit umgekehrten Vorzeichen. Hans Mohler und seine Dialekthörspielreihe "Regimentsspiel"
 
[Kosten total Fr. 15'000.--]
Buchfassung: Frauenfeld (Huber) (?)
 
"Für nächstes Jahr [1972] ist die Bearbeitung eines Romans von Hans Mohler, 'Das Regimentsspiel', vorgesehen. [...] Die Mundartfassung des Romans liegt bereits vor, nun soll er in Zusammenarbeit mit dem Autor dramatisiert werden." [r+f 29/71, S.70, Gespräch mit Waldemar Feller]
 
1.Folge
"Der Autor Hans Mohler hat seinen Roman 'Regimentsspiel' 1972 zu einer gleichnamigen fünfteiligen Hörspielreihe umgeschrieben. Ein Landwehr-Regiment, bestehend aus zahlreichen Einheimischen und aus ebensolchen ins Unterland abgewanderten Bündnern, ist im Engadin eingerückt.
In dieser ersten Folge werden die Hauptpersonen der Hörspielreihe vorgestellt: der Gefreite Cadotsch, der alles von seinem Büroordonanztisch aus mitverfolgt, der nachtblinde Spielführer Wachtmeister Oswald, das Kompaniekalb Trompeter Zinsli, der rechthaberische Major Leischer u.a.m. Die meisten Personen der Handlung sind bündnerischer Herkunft, was mit wenigen Ausnahmen eine Besetzung mit Bündner Laienspielern erforderte." [Pgr 2/79, S.15]
 
2.Folge
"Eine Landwehreinheit hat im Engadin den EK begonnen. Bereits sind die erste kleinen Reibereien der Anfangsphase vorüber, da scheint sich ein grösserer Konflikt anzubahnen: Der Regimentsarzt Major Leischer, dem das Spiel unterstellt ist, will dieses in eine 2.Übung befehlen, entgegen der geplanten Konzerttournée." [Pgr 2/79, S.16]
 
3.Folge
"In dieser dritten Folge der Hörspielreihe 'Regimentsspiel' steht das Kompaniekalb Trompeter August Zinsli im Mittelpunkt, er schlägt die Pauke. Zinsli kann wohl die ganze Kompanie unterhalten, als 'Respektsperson', wie er sich nennt, aber auch schikanieren, besonders die Kameraden, die er nicht mag." [Pgr 2/79, S.17]
 
4.Folge
"Was auf dem 'Latrinenweg' bereits als Gerücht kursierte, tritt tatsächlich ein: entgegen dem Befehl der Brigade wird das Regimentsspiel in eine zweite Übung befohlen, eine Konzerttournée fällt somit aus.
Dies kann der Spielführer Wachtmeister Meuli nicht begreifen, und daher benützt er die Gelegenheit, den Brigadier in dieser Sache anzusprechen. Der aber weiss auch nichts von einer Befehlsänderung..." [Pgr 2/79, S.18]
 
5.Folge
"Im Mittelpunkt dieser fünften und letzten Folge steht der Spielführer Wachtmeister Oswald, ein ziemlich verschlossener Einzelgänger. Er hat nicht nur im Zivilen Mühe sich durchzusetzen, auch im Dienst wird er nicht als Vorgesetzter akzeptiert, besonders nicht vom Trompeter Zinsli, der absichtlich Material im Feld liegen lässt. Um weitern Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, sucht Wachtmeister Oswald das verlorene Material selbst, obwohl er nachtblind ist.
Welchen Marsch hat das Regimentsspiel zu Beginn des EK eigentlich nur der Vollständigkeit zuliebe geübt...?" [Pgr 2/79, S.19]
 
"Hans Mohler hat seinen Roman fürs Studio Zürich in eine fünfteilige Dialekthörspielreihe umgearbeitet. 'Ursprünglich wollte ich möglichst wenig verändern, wünschte ich, dass von der Substanz des Romans möglichst wenig verlorengeht.' [...] Hoffentlich erwartet ihn kein ähnlicher Schrecken wie seinerzeit bei 'Direktor Midas': 'Als ich es später hörte, war ich beinahe entsetzt, wieviel - für mich - wichtige Dinge nicht mehr drin waren. Aber der Autor findet natürlich immer alles wichtig."
[...] "Auf alle Figuren in diesem Roman trifft das mehr oder weniger zu: Sie beschäftigen sich mit ihrer Zukunft, machen sich ein Trugbild ihrer selbst, auch von den andern, und davon leben sie. Es ist unnütz, den Menschen die Lebenslüge aufzudecken, das wäre destruktiv; die Welt würde nicht besser. Das ist meine Ansicht. Anders als bei Ibsen: mit umgekehrten Vorzeichen. Im Hörspiel gibt es von alldem bloss noch Rudimente. Am Roman ist mir das eigentlich das Wichtigste. Das ganze Militärwesen war mir lediglich ein Vehikel, um diese Dinge darzustellen. Das Hörspiel ist also fast eine selbständige Arbeit.'" [tvrz 39/72, Marianne Boije]
 
 
 
Walter Vogt
T'Innkwisizioon oder Die Inquisition? (17')
Dialekt / Hochdeutsch Kurzhörspiel Montagsstudio [D&F]
Joseph Scheidegger, Basel
6.11.72
72 (DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 44/72, S.72, wk, T'Innkwisizioon oder Die Inquisition? Hörspiel von Walter Vogt und Gedichte von Kurt Marti
NZZ, 8.11.72, K.O., Der Schweizer Schriftsteller zwischen Mundart und Hochsprache: "T'Innkwisizioon oder Die Inquisition?"
 
Fernsehspiel: "Inquisition" (Mundart) DRS, 1977
 
"Ein Hörspiel von Walter Vogt und Gedichte von Kurt Marti, je in hochdeutscher und in Dialektfassung, verbunden mit einer Diskussion zwischen den beiden Autoren, Dr.Walter Schenker, Joseph Scheidegger und Alfred Blatter" [tvrz 44/72]
 
"1969 brachten wir im Rahmen des Montagsstudios zum ersten Mal drei kurze Dialekt-Hörspiele von Walter Vogt. Der Autor hat nun einen dieser Dialoge, ein Gespräch zwischen Arzt und Patientin in einer Nervenklinik, aus experimentellen Gründen auch auf Hochdeutsch übertragen, und wir produzierten, mit den gleichen Schauspielern, eine hochdeutsche Fassung. Partien aus den beiden verschiedenen sprachlichen Fassungen sowie Gedichte von Kurt Marti, die berndeutsch und hochdeutsch gegenübergestellt werden, bilden die Grundlage zu einem Gespräch über Fragen des Dialekts, an dem sich zwei Autoren, ein Wissenschafter und ein Radiomitarbeiter beteiligen werden." [Pgr 3/72, S.11]
 
"1969 wurden im Rahmen des Montagsstudios drei kurze Dialekthörspiele von Walter Vogt vorgestellt, seine ersten Dialoge in Mundart überhaupt, die erst nach der bewussten Überwindung seines Widerstandes gegen die schweizerdeutsche Muttersprache, die vielen zünftigen Deutschschweizer Schriftstellern eigen ist, zustande kamen und für ihn daher unter anderem auch Experimentiercharakter hatten.
Das Montagsstudio dieser Woche versucht nun, die Problematik 'Schweizerdeutsch - Schriftdeutsch' auf literarischer und anderer Ebene mit praktischen Beispielen zu verdeutlichen. Zu diesem Zweck hat Walter Vogt einen der drei 1969 urgesendeten Dialoge 'T'Innkwisizioon', ein Gespräch zwischen einem Arzt und einer Patientin in einer Nervenklinik, auf Hochdeutsch übertragen, das mit den gleichen Schauspielern, die schon in der Originalfassung mitgewirkt hatten, produziert wurde. Partien aus den beiden verschiedenen sprachlichen Fassungen sowie eine Anzahl Gedichte von Kurt Marti, die sowohl auf berndeutsch als auch auf schriftdeutsch vorliegen, geben die Grundlage zu einer Diskussion unter der Leitung von Alfred Blatter über Fragen des Dialekts ab, an der sich der Germanist Dr.Walter Schenker, Kurt Marti, Walter Vogt sowie Joseph Scheidegger in seiner Doppelfunktion als Regisseur der beiden 'Inquisitionen' und als einer der Anreger des anspruchsvollen Dialekt- und Fernsehspiels in der deutschen Schweiz beteiligen.
Tatsächlich ist die Beziehung des Deutschschweizers zur Schriftsprache nicht zu vergleichen mit dem Verhältnis vom Dialekt zur Hochsprache in anderen Ländern: Praktisch jeder Deutschschweizer spricht seinen Dialekt als seine Umgangssprache - die französisch parlierenden Berner Patrizier sollen dabei nicht vergessen werden; aber in diesem Zusammenhang sind sie nur eine unerhebliche Minderheit - und unterscheidet sich daher gesellschaftlich nicht wie anderswo durch den regelmässigen Gebrauch oder Nichtgebrauch der Mundart. (Übrigens ist nicht zu übersehen, dass für den Schweizer Schriftsteller neben linguistischen und stilistischen Erwägungen auch wirtschaftliche ins Gewicht fallen: Dialektliteratur ist absatzmässig von vornherein beschränkt.)
Mit dieser Sendung wird nicht der Anspruch erhoben, Endgültiges und Erschöpfendes über den Deutschschweizer Schriftsteller und seine Sprache und darüber hinaus über den Deutschschweizer und seine sprachliche Stellung im deutschen Sprachraum überhaupt anzuregen; wohl aber soll sie demonstrieren, dass die Spannung zwischen Schweizerdeutsch und Schriftdeutsch keine exklusive Angelegenheit für Philologen ist - sie gehört zu unserem Deutschschweizer Alltag." [tvrz 44/72, wk]
 
 
 
Ernst Burren
D'Schuelkommission (13 Monate für 12 Autoren) (50')
Hörspiel-Erstling [U]
Paul Roland, Bern
14.11.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 45/72, S.73, Christian Wäfler, (Schul-)Meisterhaft. 13 Monate für 12 Autoren: November: D Schuelkommission, Hörspiel von Ernst Burren
tvrz 47/72, Ernst Burren, D Schuelkommission
 
"Die Schulkommissionsmitglieder von Tüschigen haben ihre Aufgaben immer mit Pflichtgefühl und grosser Gewissenhaftigkeit ausgeführt. Das wissen sie selber am besten. Deshalb können sie es überhaupt nicht verstehen, dass nun seit ein paar Jahren junge Lehrer neue Ideen verwirklichen wollen. Die nachwachsende Generation soll so erzogen werden, wie man es selber wurde. Man ist schliesslich etwas Rechtes geworden im Leben, man weiss, worauf es ankommt, also wie in der Schule gelehrt werden soll. Lieber nimmt man einen ständigen Lehrerwechsel in Kauf, als einen Lehrer zu dulden, der die guten, bewährten Methoden in Frage stellt. Es häufen sich die Fälle, dass zwar Kinder, Eltern und Inspektor zu einem solchen Lehrer stehen, der reaktionären Schulbehörde ist er aber nicht genehm - der Lehrer muss also gehen.
Am Ende der Sendung wirft ein Lehrer in einem Interview die Frage auf, ob es nicht besser wäre, Schulkommissionen durch Elternräte zu ersetzen. Ich hoffe, es werden sich möglichst viele Leute die Vor- und Nachteile dieses Vorschlages einmal durch den Kopf gehen lassen." [tvrz 47/72, Ernst Burren]
 
"1972 wirbelte sein Hörspiel 'Schueukommission', im Rahmen des Zyklus 'Dreizehn Monate für zwölf Autoren', einigen Staub auf..." [Pgr 3/73, S.14]
 
[...]
"Ein Jandl- oder Mayröcker-Epigone (das sind die, welche so verrückte Hörspiele machen) mag der Ernst Burren wohl nicht sein. Da hält er sich lieber ans Bewährte und Bestandene. (Nicht Ab-gestandene. Nei bhüetis ou nei!) So dass schlicht und einfach eine (schul-)meisterliche Hörfolge von Ernst Burren entstand. Mit neumödischer Experimentiererei hat sich Ernst Burren nicht abgequält, bei ihm weiss man, woran man ist, denn er hätte es 'schade gefunden, meine Sendezeit mit an den Haaren herbeigezogenen Gägchen zu vertun.' Vielmehr lag es ihm daran, 'eine bewusst politische Sendung zu machen'. Nämlich. Am Beispiel einer Schulkommissionssitzung; nein, nicht im Krähwinkel, aber in Tüschige, irgendwo in Seldwyla." [...] [tvrz 45/72, Christian Wäfler]
 
 
 
Wilhelm Michael Treichlinger
Ulrich Bräker, "der arme Mann im Tockenburg": 1. Dem Mutigen gehört die Welt 2. Alltag 3. Der Zankapfel 4. Ernte eines Lebens 5. Ein ungelehrter Weltbürger (36' / 27' / 26' / 29' / 28')
(Hörfolge / Hörbild) Musik: Bobby Zaugg [D&F]
Hans Jedlitschka, Zürich
25.11.72 / 2.12.72 / 9.12.72 / 16.12.72 / 23.12.72
72 (DRS-1, 5 x 2 Sdg.), 80 (DRS-1, 5 x 1 Sdg.)
 
tvrz 46/72, S.70, --, Der Reichtum eines armen Mannes. "Der arme Mann im Tockenburg". Ulrich Bräker im eigenen Wort, von Wilhelm Michael Treichlinger
 
"'Hab ein Büchel angefangen. Betitelt die Lebensgeschichte eines armen Mannes. Geschrieben im Jahre 1781 U.B. Könnts wohl noch ein Jahr oder zwei gehn ehs ausgeschrieben ist, werds heuer oder aufs Jahr, so geht die Geschicht bis zu End'. Diese Lebensgeschichte wird die Achse der fünfteiligen Hörfolge bilden. Darüber hinaus möchten wir möglichst viel kaum Bekanntes beibringen. Die Grundlage der Radio-Bearbeitung liefert die dreiteilige Ausgabe der Werke Ulrich Bräkers von Samuel Voellmy im Verlag Birkhäuser Basel. Der Stoff wurde in fünf Gruppen geordnet, von denen die beiden ersten den Lebenslauf andeuten, die dritte den Kampf um das Selbst aufzuzeigen versucht, die vierte den Bauern als Chronisten vorstellt und die fünfte Ulrich Bräkers grosse Entwürfe behandelt.
Den Ulrich Bräker spielt Ruedi Walter." [Pgr 3/72, S.14]
 
 
 
Rudolf Jakob Humm
Robespierre spielt Gott (74')
historisches Hörspiel Musik: Emil Moser Hörspiel-Erstling [D&F]
Walter Baumgartner, Zürich
3.12.72
72 (DRS-2, 2 Sdg.)
 
tvrz 48/72, S.75, bg., Robespierre spielt Gott. Hörspiel von R.J.Humm
 
Von E. Pulver als "interessant" bezeichnet [Kindler 1974, S.354]
 
"Die Abteilung Dramatik freut sich, ein Hörspiel des Schweizer Autors R.J.Humm vorstellen zu können, das die Auseinandersetzung des Intellektuellen mit den Problemen seiner Gegenwart zum Thema hat.
Zur Zeit der Schreckensherrschaft Robespierres wird der Sorbonne-Professor Parmentier gezwungen, seine Fähigkeit zu beweisen, den in seinem philosophischen Werk über die Ethik erhobenen Forderungen nachzuleben. Mit dem von Robespierre unterschriebenen Blanko-Enthaftungsschein kann er entweder seinen Freund, den Chemiker Lavoisier, oder sich selbst vor der Guillotine retten. Wie entscheidet sich der zwischen menschlichen Gefühlen und philosophischen Forderungen schwankende Intellektuelle?" [Pgr 3/72, S.15]
 
"R.J.Humm hat für das Radio der deutschen und der rätoromanischen Schweiz ein Hörspiel geschrieben. Bei einem so bekannten Autor ist das ein Ereignis. Vor allem, wenn dieser Autor bisher hauptsächlich erzählende und verhältnismässig wenig dramatische Texte veröffentlicht hat. In seiner Bibliographie sind, seit 1925, 17 Romane, Novellen und Sammlungen von Erzählungen, Märchen, Essays aufgeführt, aber nur ein Bühnenstück und eine Tragödie sowie einige Puppenspiele."
[...]
"So gilt R.J.Humm denn als Meister in der Schilderung der Welt des Absonderlichen, des Skurrilen. Man sagt ihm nach, er betrachte das Schicksal seiner Figuren aus wohlabgemessener Distanz, ironisch, manchmal gar sarkastisch. Man rühmt sein formales Können, seine Fähigkeit, dem Stimmungsvollen, Zarten, Zauberhaften und dem Närrischen überzeugend Ausdruck zu verleihen, aber man behauptet, er beschreibe die Welt, ohne sich innerlich Beteiligung anmerken zu lassen. Ohne es direkt auszusprechen, bestreitet man ihm die Fähigkeit, sich mit seinen Figuren zu identifizieren.
In seinem Hörspiel 'Robespierre spielt Gott' behandelt R.J.Humm das Problem des Intellektuellen, der dazu gezwungen wird, seine moralischen Anschauungen in die Tat umzusetzen, und der an der Erkenntnis seiner Unfähigkeit zerbricht. Wohl setzt der Autor mit der ihm eigenen Genauigkeit die drei Grundtypen des denkenden Menschen in scharfen Umrissen gegeneinander ab: den seinen Ideen fanatisch ergebenen Theoretiker in der Figur des Revolutionärs Robespierre, den durch die experimentelle Erfahrung zu realistischen Folgerungen befähigten Wissenschafter in der Figur des Chemikers Lavoisier und den ausserhalb des wirklichen Lebens in der Spähre der reinen Möglichkeiten schwebenden Idealisten in der Figur des Philosophen Parmentier. Doch glüht in der Schilderung von Parmentiers Kampf mit seinen Überzeugungen, Wünschen und Ängsten, der Schmerzlichkeit seiner Selbsterkenntnisse, der lähmenden Einsicht in seine Schwäche eine so beängstigende Intensität, dass man kaum mehr mit gutem Gewissen wird behaupten können, Humm habe an der Not seines Geschöpfs keinen Anteil genommen.
Indem er den Hörer miterleben lässt, wie der Philosoph Schicht um Schicht seines Bewusstseins untersucht, um die Beweggründe seiner Gedankengänge und Gefühlsregungen zu erkennen, scheint der Autor seine eigenen Zweifel zu offenbaren. Seine Zweifel an der Richtigkeit jeder möglichen Entscheidung. Oder anders ausgedrückt: seine Zweifel an der Fähigkeit des ernsthaft abwägenden Menschen, moralische Erkenntnisse ohne Einbusse der moralischen Berechtigung in Tagen umzuwandeln. Also, letzten Endes, seine Zweifel an sich selbst.
Ist es gerechtfertigt, nach diesem Hörspiel von einer Wandlung des Autors R.J.Humm zu sprechen? Wäre es nicht gerechtfertigter, seine früheren Werke neu zu lesen? Dann dürfte man vielleicht von einer Wandlung der Beurteilung des Autors R.J.Humm sprechen. " [tvrz 48/72, bg.]
 
 
 
Walter Vogt
Weihnachten mit "Herz". Ein radiophonisches Stück in drei Sätzen (13 Monate für 12 Autoren) (60')
Collage [U]
Paul Roland, Bern
5.12.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.)
 
tvrz 48/72, S.77, --, Weihnachten ist schon ein starkes Thema. Interview mit Walter Vogt anlässlich seiner Sendung "Weihnachten mit 'Herz'" im Rahmen der Reihe "13 Monate für 12 Autoren"
 
[...]
"Ich glaube, ich habe vorher nie nach der Collagemethode gearbeitet. Die Collagetechnik ist längst kein Experiment mehr. Es gibt überhaupt keine formalen Experimente mehr - dafür gibt es wieder inhaltliche... Für das Radio finde ich -für einen Schriftsteller jedenfalls - die Collage heute die gegebene Möglichkeit. Der Hör-Raum ist unkörperlich und unbegrenzt, für den Hörer ist er 'abstrakter' oder vielleicht besser: freier als der Sehraum - deshalb ist im Hörraum alles möglich, ohne dass ein Krampf entsteht oder ein surrealer Effekt. Am Fernsehen z.B. bin ich ganz anderer Meinung - mein Stück 'Spiele der Macht' ist nach den strengsten Regeln der Einheit von Ort, Zeit und Handlung gebaut. Das halte ich augenblicklich für die einzige mediengerechte Möglichkeit beim Fernseh-Spiel, und zwar aus guten Gründen.
[...]
Glauben Sie im Ernst, dass mein Opusculum gegen irgendeinen Stachel löckt? Kann man das überhaupt noch?
[...]
Ich hatte den Eindruck, dass mein Werk vor allem anderen einen 'musikalischen' Ablauf hat. Deshalb habe ich die Abschnitte als 'Sätze' bezeichnet. Es ging wie von selbst." [...] [tvrz 48/72, Interview]
 
 
 
Margaretha Haas
Die frend Magd (40')
Dialekt Obwaldner Mundart (Kerns) [L+L]
Julian Dillier, Basel
8.12.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
tvrz 48/72, S.72, Julian Dillier, Die frend Magd. Hörspiel von Margaretha Haas
 
Produktion ausserhalb des Studios, in Kerns
 
[...]"Margaretha Haas wurde besonders bekannt durch ihre frohen und träfen Mundartplaudereien. Später versuchte sie sich auch in der Technik des Hörspiels. So hatte sie auch ein Manuskript zu einem Hörspiel unter dem Titel 'Die frend Magd' hinterlassen. Im Einvernehmen mit den Angehörigen der Autorin wurde dieses Spiel für das Radio eingerichtet und mit Obwaldner Hörspielern, sozusagen an Ort und Stelle des Geschehens - nämlich in Kerns - einstudiert und aufgenommen. Das Spiel, das in unverfälschter Kernser Mundart geboten wird, ist ohne schwere Problemstellung, eine kleine, aber überaus ansprechende Liebesgeschichte. Eine junge Liebe wird unversehens durch eine fremde Magd gefährdet, deren fremdländische und ungewohnte Schönheit den dörflichen Alltag beinahe durcheinanderbringt. Doch zu guter Letzt kommt alles wieder ins reine, nicht zuletzt auch durch die Einsicht des jungen Walti, der erkennt, dass dieses fremde, wilde Blut wohl berauschen, doch kaum dauernde Liebe geben kann.
Wenn das Spiel auch keine grossen dramatischen Höhepunkte aufweist, sondern sich mehr durch eine liebenswürdige, epische Erzählfreude und durch eine gepflegte Mundart auszeichnet, wird es ganz besonders jene Hörer ansprechen, die noch ein Organ haben für die feine Zeichnung des Details und des Gegenständlichen." [tvrz 48/72, Julian Dillier]
 
 
 
Silja Walter
Die Scheol tanzt. Weihnachtshörspiel (60')
Typoskript
Typoskript bei SLA, Bern
Weihnachtsspiel Mysterien-Hörspiel Trilogie, 1.Teil Auftrag Musik: George Gruntz Hörspiel-Erstling [D&F]
Robert Bichler, Zürich
24.12.72
72 (DRS-1, 1 Sdg.; DRS-2, 1 Sdg.), 75 (DRS-2, 1 Sdg.), 77 (DRS-1, 1 Sdg.)
 
tvrz 51/72, S.64, Paul Ringseisen, Die Scheol tanzt. Hörspiel von Silja Walter
 
Kassette: ExLibris (TR-Verlagsunion, Audiothek-Reihe)
Buchausgabe: Zürich (Arche) 1973
 
"Für den alttestamentlichen Juden ist die Scheol der Ort der verstorbenen Gerechten. Christlich gedeutet: die Vorhölle, in die Jesus Christus hinabstieg nach seinem Tod, um sie in seine Auferstehung herein, zum neuen Leben herein zu holen. Im Spiel wird die Begegnung mit Christus vorverlegt in die Geburt, bei der die Scheol in Tanz gerät in der Vorauserfahrung des kommenden Heiles.
Das irreale Geschehen beginnt sich in der Vorstellungswelt eines verschlafenen Hirten auf dem Feld zu Bethlehem am Wachefeuer zu entwickeln, wird dann aber selbständige Geschichte, löst sich ab und auf in der Engel-Offenbarung der heiligen Nacht, in der sich der Zorn-Engel der Scheol in den Gloria-Engel der Verkündigung von Gottes Menschenliebe umwandelt." [Pgr 3/72, S.18]
 
"Weihnachten, Ostern, Pfingsten: kalendermässig in dieser Folge kehren die christlichen Feste wieder. Ostern ist nicht nur in der Mitte zwischen Weihnachten und Pfingsten als Termin, Ostern ist die Mitte, das Zentrum des christlichen Glaubens überhaupt. Von Christi Tod und Auferstehung her bekommt Weihnachten, die Geburt, ihren Sinn, und die Geistaussendung, Pfingsten, ist ohne Auferstehung undenkbar. Darum liegt es nahe, in diesem Osterprogramm die Trilogie der Mysterienspiele von Silja Walter zu bringen. Die drei Mysterien-Hörspiele entstanden im Auftrag der Abteilung Dramatik, zwischen 1972 und 1976." [Pgr 1/77, S.17]
 
"In der visionären Vorstellungswelt zweier Hirten lässt Silja Walter die Hörer miterleben, was sich in der Scheol abspielt in der Vorauswirkung der kommenden Geburt Jesu. Die alles Alte sprengende Kraft der Menschwerdung Gottes bringt die Schattenwesen in der Scheol, die voll Ungewissheit - in Hoffnung oder lähmender Resignation - des Kommenden harren, in Bewegung. Die tanzende Scheol ist dichterischer Ausdruck der Vorauswirkung des sich von ferne ankündigenden Heils. Wie sehr dieses Ereignis der Weihnacht alle unbestimmte Sehnsucht und Erwartung des Menschen sprengt, wird bildhaft verdeutlicht in der über dem Schober von Bethlehem zerplatzenden Scheol.
Zielbewusst steuert das Stück von der anfänglichen Lähmung in der Scheol, wo man 'kein Mensch mehr ist', über die wachsende Sehnsucht hin zu der unbedingten Gewissheit Evas, dass Gott die Menschen trotzdem liebt und schon aufgebrochen ist, sie zu suchen. Auf dem Höhepunkt stimmt Eva das Hohelied von Gottes rettender Liebe an; Jakob, der Erzvater des auserwählten Volkes, ringt siegesgewiss mit dem Zornengel um die Gemeinschaft mit dem Gott der Verheissung; Mirjam und David, von Gottes prophetischem Geist ergriffen, feiern tanzend und Hallel singend das Fest der rettenden Liebe Gottes voraus - gegen allen Einspruch und Widerspruch Adams und des Propheten Jonas, die nur mehr an die kommende Rache Gottes glauben. Unter der Nähe des Kommenden und in der Glut der Erwartung verwandelt sich die Scheol in einen tanzenden Feuerstern, der schliesslich über dem Ort der Geburt Jesu explodiert. Der Zornengel Gottes, der den Eingang zum Garten des Glücks versperrte, steht nun vor uns als der Freudenbote Gottes. Evas Sehnsucht, wieder ein Mensch zu sein, ist über die Massen erfüllt: Gott selbst wird ein Mensch, damit wir wieder Mensch sein können.
Wieder ein Mensch sein können: das ist das bleibend aktuelle Leitmotiv des ganzen Stückes. 'Ich muss wieder ein Mensch werden... Menschsein ist das Schönste, was es gibt.' - 'Wenn jemand ein Mensch ist, dann liebt er Gott', spricht Eva in unser aller Namen. Ohne die Gewissheit, sich von Gott über alles geliebt zu wissen, bleibt alles Menschsein vergeblicher Schatten und Torso. - Eben dieser Gewissheit von Gottes so menschlicher Liebe versichert uns die Botschaft des Stückes: Alles ist hineingerissen in den neuen Anfang, den Gott durch seinen Sohn, den Neuen Adam, mit uns macht. Selbst der Tod ist schon hineinverschlungen in den Sieg Gottes, der in der Geburt im Stall anhebt. 'Gott selbst will Mensch werden in jedem Menschen - man muss ihn nur einlassen.'" [tvrz 51/72, Paul Ringseisen]

1971        1973